Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
erschrak, förmlich starr vor Schreck: Wozu war sie zurückgekommen? Was wollte sie mir sagen? Unsere Blicke trafen sich, und aus ihren Augen blitzte der Schalk. Natürlich war es Serena. Und mittlerweile waren ihre Zähne buttergelb.
Ich hielt sie an und versuchte, mit ihr zu reden, aber sie machte einen auf erwachsen und schlug vor, Kaffee trinken zu gehen. Sie erklärte, Brian sei ihr irgendwie nach Amsterdam gefolgt. Sie schaute über die Schulter. Ich glaube, inzwischen halluzinierte sie. Aber dieses Erwachsenengehabe wirkte so aufgesetzt, dass ich froh war, als wir uns trennten: »Also tschüss dann.« Als ich ihr auf der Straße nachblickte, war es meine Schwester mit ihrem Spielzeuggang und der merkwürdigen Kopfhaltung – Serena, die von einem harmlosen Spiel wegrennt, sieben Jahre alt, zu stolz, um zu weinen.
Der Anruf aus dem Krankenhaus kam sechs Wochen später. Mit ihrer Leber sei etwas nicht in Ordnung. Danach waren es die Nieren. Und danach starb sie. Gegen Ende fielen ihr die gelben Zähne aus, und ihr Körper war von einer Art Babyflaum überzogen. Ihre ganze Schönheit war verschwunden – denn obwohl sie meine Schwester war, muss ich sagen, dass Serena einmal strahlend schön gewesen war.
So starb sie also. Dem Tod kann man nicht entrinnen. Man erholt sich nicht davon. Ich hab’s nicht mal versucht. Das erste Jahr war völlig verkorkst, und danach hatte unser Leben ein Loch, es war nicht einmal traurig
– es fehlte einfach nur etwas. Es war nie wieder so wie vorher.
Aber es sind die einundsechzig Tage, an die ich denke – als sie das erste Mal weg war, als uns alles noch bevorstand und niemand etwas ahnte. In jenem Sommer, als ich einundzwanzig war und Serena siebzehn, wachte ich eines Morgens auf und hatte das Zimmer ganz für mich. Auf mysteriöse Weise war sie aus dem Bett auf der anderen Seite des Zimmers verschwunden, saß nicht mehr unten auf dem Sofa, und das Bad war frei. Weg. Nicht mehr da. Verduftet. Serenas Abwesenheit setzte vor allem meiner Mutter arg zu. Es reicht nicht, zu sagen, dass meine Mutter schon damals gegen Serenas Tod ankämpfte – sie war mit ihm vertraut. Für sie war der Tod meiner Schwester die Umarmung eines Feindes. Im Wohnzimmer, in der Küche, im Flur hielten sie einander umschlungen. Sie trafen sich und redeten, feilschten miteinander und weinten. Vielleicht hatte sie gesagt: »Nimm mich. Nimm doch stattdessen mich.« Aber ich glaube, kommt man ihm so nahe, bringt man ihn mit nach Hause, dann wird ein jeder verlieren.
Es war also keine Überraschung für uns, als sie nach einundsechzig Tagen wieder nach Haus kam und so aussah, wie sie aussah. Die einzige Überraschung war Brian, dieser herumlungernde, gewöhnliche, leicht verbitterte Mann, der ihr so hilflos zuschaute und nach und nach all unsere Fragen beantwortete.
Irgendwann nach der Beerdigung begegnete ich ihm in einem Nachtclub, und am Ende hockten wir an einem kleinen runden Ecktisch, heulten uns die Augen aus und
schrien gegen die Musik an. Beide waren wir ein bisschen beschwipst, sodass ich mich nicht mehr erinnern kann, wer den Anfang machte. Es war ein erstaunlicher, tränenreicher Kuss. Alle Traurigkeit stieg auf in mein Gesicht und in meine Lippen. Für eine Weile gingen wir nach draußen, wohl in der Hoffnung, dass etwas Gutes dabei herauskommen würde – ein wenig Liebe. Aber es war eine verwelkte Liebe, eine Art Nachgedanke. Zwei normale Leute, die sich mit dem zu behelfen suchen, was da ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, es machte mir nichts aus, dass er Serena geliebt hatte, denn natürlich hatte auch ich sie geliebt. Ihr Geist belästigte uns nicht: Und wenn wir uns noch so anstrengten, er erschien nicht einmal. Aber ich sage Ihnen, mittlerweile habe ich ein Kind, und wem sieht es ähnlich? Serena. Derselbe hungrige, gereizte Gesichtsausdruck und schön obendrein. Vermutlich ist das meine Buße, damit muss ich jetzt leben.
Ich versuche, diese Geschichte zu beenden, aber sie will einfach nicht aufhören. Denn Jahre später las ich in der Zeitung eine Meldung über einen Mann, der seine Frau umgebracht hatte. Die Polizei teilte mit, er habe befürchtet, sie würde von seinen finanziellen Problemen erfahren, und so habe er, während sie schlief, das Haus in Brand gesteckt. Sein Verbrechen hatte er bis ins Kleinste vorbereitet. Zweimal hatte er bei der Gasgesellschaft angerufen, um sich über angeblich austretendes Gas zu beschweren; danach hatte er mit der Hausrenovierung
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