Alles was ich sage ist wahr
Schimmelzimmer leisten kann. Wahrscheinlich wohn ich in einem Karton unter einer Brücke. Kapierst du? In einem Karton!«
»Karton?«
»Karton. Und außerdem fehlst du mir.«
»Wenn du in London bist?«
»Ja, in London!« Fanny verstummt und holt Luft.
»Und jetzt, in der Schule«, fügt sie leise hinzu.
Ich sage eine Weile lang nichts, was wahrscheinlich daran liegt, dass ich mich im Schockzustand befinde. Ich habe einen Pakt gebrochen! Wer konnte das ahnen?
»Es ist total öde in der Schule ohne dich«, redet Fanny weiter. Sie hat sich warmgelaufen, die Bekenntnisse sprudeln nur so aus ihr heraus.
»Es war auch mit mir total öde in der Schule«, sage ich.
»Nein.«
»Doch.«
»Okay, vielleicht war’s ab und zu auch da total öde«, gibt sie am Ende zu. »Aber es ist noch viel schlimmer, wenn du nicht da bist.«
»Kann ich mir vorstellen, jetzt, wo du’s sagst. Ich bin eigentlich recht unterhaltsam.«
»Unterhaltsam UND blöd, ja. Dass du manche Dinge nicht von alleine verstehst, ohne dass ich es dir sagen muss.«
Ich denke nach. Da ist was Wahres dran. Ich habe es tatsächlich nicht gemerkt.
»Vielleicht, ein bisschen«, räume ich ein. Dann erzähle ich ihr, dass ich sie auch vermisse, aber dass sie sich das Gerede von Sprungbrettern und so weiter echt sparen kann, weil ich mich entschieden habe und sie meine Entscheidung respektieren muss und bla, bla, blubb. Ich klinge pervers erwachsen und abgeklärt, sehr bemerkenswert.
»Okay«, sagt Fanny, als ich fertig bin. »Ich versuche, nichts mehr über Sprungbretter zu sagen. Obwohl ich ja finde …«
»Schhhh!!!«
»Aber i…«
»SCHHHHH!!!«
Direkt danach legen wir, glaube ich, auf. Das ist in Ordnung. Ich nehme an, wir haben »die Luft gereinigt«, wie Oma es nennen würde, jedenfalls fällt mir das Atmen wieder etwas leichter.
* * *
»Und?«, sagt Oma, kommt ins Wohnzimmer gestapft und setzt sich auf ihren Sessel, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. »Besser?«
Ich sehe sie streng an. »Hast du etwa gelauscht?«
»Nicht direkt«, sagt sie gelassen. »Nur zufällig zugehört. Ich lebe in einer Zweizimmerwohnung, weißt du. Da ist es beim Telefonieren mit der Geheimhaltung nicht weit her.«
Ich überlege, ob ich mich darüber aufregen soll, beschließe aber, es bleiben zu lassen. Sie hat ja recht.
»Ja«, sage ich also. »Viel besser.«
* * *
Ich schreibe: Vorschlag! Können ja trotzdem zus nach London fahren, obw ich nicht mehr zur Schule gehe. Bin ja nicht tot oder verschollen. Fanny ist sich da nicht so sicher. Kommst mir aber verschollen vor. Ich antworte, dass ihr Gefühl sie täuscht. Ich bin nur im Café. Das ist nicht verschollen.
* * *
Am Ende der Woche sitzt plötzlich ein griechischer Gott an einem der Tische im Kaffee & Träume, als ich zur Arbeit komme.
Ich bemerke ihn erst gar nicht, weil er von einem Mädchen mit aschblonden Haaren verdeckt wird, die ihm gegenübersitzt. Aber als ich meinen Platz hinterm Tresen beziehe, habe ich freie Sicht, und da sehe ich ihn.
Verflixt, wie ich ihn sehe.
Der griechische Gott hat dunkles, lockiges Haar, fast schwarze Augen, einen Strickpulli mit Islandmuster an und eine zerknüllte Serviette in der Hand. Wenn er das aschblonde Mädchen anlächelt, erscheinen schmale Linien neben seinen Mundwinkeln, und ehrlich gesagt, wenn ich mich nicht selbst irgendwie daran gehindert hätte, wäre ich wahrscheinlich zu ihm gegangen, um mich für den Rest meines Lebens zwischen diesen Linien einzunisten.
Der griechische Gott ist perfekt.
Ich muss ihn heiraten.
»Wer ist das da drüben?«, frage ich Siri und nicke diskret in Richtung Gott.
Siri dreht sich um und glotzt eine halbe Ewigkeit zu dem Tisch, an dem der Gott sitzt.
»Tut mir leid«, sagt sie schließlich. »Die kenn ich nicht. Muss neu sein.«
Ich beiße die Zähne zusammen.
»Sie ist mir doch scheißegal!«, sage ich ungeduldig, was auch wirklich stimmt. »Wer ist er?«
Siri dreht sich wieder um.
»Du meinst Isak?«
Ich seufze gereizt. Keine Frage, ich vergöttere Siri, aber manchmal ist sie quälend langsam.
»Ich meine den griechischen Gott an dem Fenstertisch da drüben«, sage ich. »Keine Ahnung, ob er Isak heißt oder nicht. Was glaubst du, wieso ich frage?«
Siri grinst. »Dann meinst du wohl Isak«, sagt sie und nickt vor sich hin. »Aber den kannst du vergessen.«
»Warum sollte ich?«, frage ich.
»Zu alt für dich«, sagt Siri.
Ich ziehe die Augenbrauen hoch und begutachte noch ein wenig den
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