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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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rief er. »Das ist eine Geschichte, die ich selber geschrieben habe. Ganz allein, du kannst sie nachher lesen. Und das! Das ist über Soldaten.«
    Er hob ein weiteres auf.
    »Weißt du, dass da, wo der Bauchnabel ist, dass man da früher mit einer Schnur mit seiner Mama verbunden war? Da unten … wie heißt das noch? Da unten, wo Frauen Haare haben … du weißt schon …«
    Eddins zögerte, aber Leon fuhr unbekümmert fort.
    »Sie machen einen Knoten rein. Sie schneiden die Schnur durch, und es tut weh, und sie machen einen Knoten und stopfen ihn in einen rein, wirklich!«
    Er sah durch seine Brillengläser zu ihm nach oben, ob er ihm glaubte.
    Er zeigte Eddins Spiele im Garten und dachte sich währenddessen die Regeln aus.
    »Da!«, rief er und schoss den Ball. »Wenn man da trifft, ist es ein Tor! Ich hab einen Punkt!«
    »Wenn man wo trifft?«
    »Da!«, rief er und zielte auf einen anderen Punkt.
    »Jetzt spiel aber fair.«
    »Na gut«, sagte Leon, wollte ihm aber bald darauf etwas anderes zeigen.
    Vernon Beseler lebte sein eigenes Leben in der Nähe vom Tompkins Square mit einer Dichterin namens Marian. Er sah seinen Sohn nur gelegentlich. Er war dazu bestimmt, ein Vater zu sein, der nie verschwinden würde, wegen der Art, in der er verschwunden war. Eines Tages rief er an und wollte Dena treffen, er denke daran, nach Texas zurückzugehen, und wolle sie sehen, bevor er fahre.
    »Soll ich Leon mitbringen?«, fragte sie.
    »Wie geht es Leon?«
    »Ihm geht es gut.«
    »Nein, bring ihn besser nicht mit«, sagte Beseler.
    Er bat sie, ihn am Flughafen zu treffen. Dena erkannte ihn kaum wieder, er schien ausgemergelt und nervös. Trotz allem wollte sie ihm helfen. Er war der Rebell und Dichter, in den sie sich verliebt hatte, und so viel in ihrem Leben, so fühlte sie, war ein Teil von ihm.
    »Diese Frau, mit der du lebst, ich finde nicht, dass sie gut auf dich achtgibt.«
    »Sie muss nicht auf mich achtgeben.«
    »Also, irgendjemand sollte es.«
    »Was soll das heißen?«
    »Du siehst nicht gut aus«, erklärte Dena.
    Er ignorierte es.
    »Schreibst du?«, fragte sie.
    Das war die eine heilige Sache, er war immer ihr Apostel gewesen. Alles würde dadurch vergeben werden.
    »Nein«, sagte er. »Im Moment nicht. Ich werd vielleicht eine Weile unterrichten.«
    »Wo?«
    »Ich weiß noch nicht.«
    Er schwieg. Dann sagte er: »Wenn man als Maulwurf geboren wird, hast du dir das mal vorgestellt?«
    »Als Maulwurf?«
    »Blind geboren zu werden, ohne Augen, ich meine, mit Augen, die verschlossen sind. Alles ist im Dunkel. Unter der Erde zu leben, in engen kalten Tunneln, immer in Angst vor Schlangen und Ratten, vor allem, was sehen kann. Sich ein Weibchen zu suchen, alles ohne Licht.«
    Es fiel ihr schwer, ihn anzusehen.
    »Nein«, sagte sie. »Ich hab noch nie darüber nachgedacht. Ich wurde mit Augen geboren.«
    »Man muss Erbarmen haben«, sagte er.
    Er versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden, er schien völlig darauf fokussiert, er steckte sie sich zwischen die Lippen, strich ein Streichholz an und hielt es mit aller Konzentration daran, schüttelte es aus und legte es in einem Aschenbecher ab. Er nahm die Zigarette mit zitternden Fingern aus dem Mund.
    »Es kommt nicht vom Trinken«, sagte er.
    »Kommt es nicht?«
    »Ich trinke, aber das ist es nicht. Ich bin einfach ein wenig drüber. Marian trinkt nicht. Sie badet im Mondlicht. Sie zieht sich gerne aus und sitzt nackt im Mondschein.«
    »Wo macht sie das?«
    »Im Grunde überall«, sagte er.
    »Vernon, warum lassen wir uns nicht scheiden?«
    »Warum sollen wir uns scheiden lassen?«
    »Weil wir nicht mehr wirklich verheiratet sind.«
    »Wir werden immer verheiratet sein«, sagte er.
    »Ich glaube nicht. Ich meine, wozu soll es gut sein.«
    »Man wird noch Lieder über uns schreiben«, sagte er. »Ich hätte schon ein paar auf Lager. Wie geht es unserem Leon?«
    »Er ist ein wunderbarer Junge.«
    »Ja, das hab ich immer gewusst.«
    »Was ist jetzt mit der Scheidung?«
    »Ja«, sagte Beseler. Er rauchte, gedankenverloren, und sagte nichts weiter.
    Schließlich wurde sein Flug aufgerufen.
    »Also, jetzt heißt es wohl für eine Weile Adios «, sagte er.
    Er küsste sie auf die Wange. Es war das letzte Mal, dass sie ihn sah. Aber sie kam nun mal aus Texas, wo man treu war, und auf eine gewisse abgekehrte Weise blieb sie ihm treu, dem Jungen, der ihr Mann gewesen war, der sie entführt hatte und dessen Schicksal es war, ein berühmter Dichter oder auch Sänger zu werden.

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