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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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uns zu verbrennen. Und wir meinten, in einer Stunde sind wir wahrscheinlich eh schon tot, warum also nicht?«
    Er war Beobachter beim Air Corps gewesen und besaß ein paar Fotos von sich in Uniform. Er merkte, dass er vom Thema abgekommen war.
    »Versteh ich nicht«, sagte Cook.
    »Was verstehst du nicht?«
    »Was du damit sagen willst.«
    »Was ich sagen will? Ich werde sterben, und das Konto wird leer sein. Nichts wird übrig bleiben. Das Haus wird zusammenfallen, und du wirst dich um Caroline kümmern müssen, und das ist dann das Ende.«
    »Es waren nur ein paar Schecks. Ich wollte dir ein wenig Mühe sparen.«
    »Ich wünschte, du wüsstest, wie«, sagte Wain.
    In der Woche nach ihrer Ankunft schrieb Vivian an dem dunklen Schreibtisch ihres Großvaters, der in dem unfertigen Arbeitszimmer an der Wand stand, einen Brief. Lieber Philip , begann er.
    Sonst schrieb sie immer Liebster Philip . War es ein unbeabsichtigter Lapsus, oder steckte mehr dahinter? Bowman hatte ein ungutes Gefühl, ein Frösteln durchzog ihn, als er die merkwürdig fremden Worte las. Niemand konnte ahnen, was in London geschehen war. Das war eine andere Welt, eine völlig andere. Nervös las er weiter. Caro geht es unverändert. Es fällt ihr schwer zu sprechen, und ich habe das Gefühl, dass sie es leid ist, immer zu versuchen, sich verständlich zu machen. Und dann gibt sie auf. Aber man kann manches an ihrem Ausdruck erkennen. Hier kümmere hauptsächlich ich mich um sie, ich und Granddad. Ansonsten sehen wir fern, oder sie sitzt bei mir in der Küche. Am Haus passiert weniger. Cook ist wirklich nicht zu gebrauchen. Er ist andauernd in der Stadt, ich weiß nicht, was er da treibt, oder er ist im Schuppen hinten. Aber das ist nicht der Grund, warum ich dir schreibe.
    Bowman drehte das Blatt um. Er las schnell, er war unruhig und angespannt.
    Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll oder warum es so gekommen ist, aber seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, als gingen wir beide unserer Wege, ohne viel gemein zu haben. Ich spreche nicht von etwas Bestimmtem (?)
    Hier übersprangen seine Augen ein paar Zeilen. Das Fragezeichen machte ihm Angst. Er wusste nicht, was es bedeutete, aber da war nichts. Ich nehme an, ich kann dir keinen Vorwurf machen. Und ich mache auch mir keinen. Wahrscheinlich ist es schon immer so gewesen, aber am Anfang habe ich es einfach nicht gesehen. Ich gehöre wirklich nicht in deine Welt, und ich glaube nicht, dass du in meine gehörst. Ich denke einfach, es wäre besser, ich kehre dahin zurück, wo ich hingehöre.
    Die Worte hatten etwas Fatales. Es war ein Abschiedsbrief. Zwei Nächte bevor sie gefahren war, hatten sie miteinander geschlafen, sie hatte ein Kissen unter sich gelegt wie ein unschuldiges nacktes Kind mit Bauchschmerzen, und er merkte, dass sie sich auf eine Weise hingab wie nie zuvor, vielleicht wegen der Art, wie sie es taten, oder vielleicht erreichten sie auch eine andere Ebene von Intimität, aber jetzt verstand er mit plötzlichem, durchdringendem Bedauern, dass er sich geirrt hatte, es war etwas anderes gewesen, etwas, das nur sie allein gewusst hatte.
    Daddy würde wahrscheinlich einen Anfall bekommen, wenn er mich jetzt hörte, aber ich will nichts haben, keinen Unterhalt. Ich will nicht, dass du für den Rest meines Lebens für mich aufkommst. Wir waren nicht so lange verheiratet. Wenn du mir dreitausend Dollar geben könntest, damit ich die erste Zeit zurechtkomme, das würde reichen. Sei ehrlich, ich habe doch nicht unrecht? Wir waren wirklich nicht füreinander bestimmt. Vielleicht finde ich den richtigen Mann, vielleicht findest du die richtige Frau oder wenigstens jemand, der besser zu dir passt.
    Ihr Daddy. Bowman hatte nie eine starke männliche Bezugsperson in seinem Leben gehabt, die ihm gezeigt hätte, was es hieß, ein Mann zu sein, und er hatte sich trotz der Distanz zwischen ihnen zu ihm hingezogen gefühlt. Es gab keine Verbindung – er hatte keine Ahnung, was sein Schwiegervater dachte oder tun würde. Er erinnerte sich, wie er an dem Morgen nach dem großen Schneesturm in Virginia, als sie über Nacht geblieben waren, mit fast krimineller Ruhe dasaß, einen Kaffee trank und etwas Butter auf einem Toast verteilte. Er erinnerte sich noch deutlich daran.
    Am Tag nachdem sie den Brief geschrieben hatte, sah Vivian zufällig ihren Onkel Cook mit einer Schubkarre ums Haus kommen, er schien etwas zu transportieren, und dann sah sie mit Schreck eine Vorderpfote über den Rand hängen.

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