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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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und bleibst eine Weile bei uns? Es ist ein Arbeiterstädtchen, aber sehr hübsch. Es gibt ein paar Restaurants und einige Bars. In Nyack gibt es auch ein Kino. Vom Esstisch aus, das heißt vom Küchentisch, kann man über den Fluss sehen.«
    »Klingt verlockend.«
    Einen Moment war er versucht, ja zu sagen, das gemächliche und idyllische Leben, das alte Haus auf dem Hügel über der Stadt. Er konnte sich den Tageslauf vorstellen, im hellen Morgen in die Stadt zu fahren, dann am Abend wieder zurück, manchmal etwas später, bei nachlassendem Verkehr, die klare Nacht über den Bäumen.
    »Ich komm schon klar«, sagte er.
    »Das sagst du so, aber vergiss nicht, unsere Tür steht immer offen. Wir machen dir auch Platz im Bett.«
    Einen Moment saßen sie schweigend da.
    »Ich erinnere mich noch an deine Hochzeit«, sagte Eddins. »Auf der Fahrt, die schöne Landschaft. Die eleganten Häuser. Was ist eigentlich aus dem Richter geworden, der auf Frauen mit großem Busen stand?«
    »Ich hab den Richter lang nicht mehr gesehen«, sagte Bowman.
    Vivian hingegen begegnete dem Richter schon bald nach ihrer Rückkehr, auch wenn ›begegnen‹ nicht ganz richtig war. Richter Stump hatte von der Neuigkeit gehört und sein Bedauern bekundet. Er lud sie nicht ohne Nervosität zum Lunch im Red Fox ein, auch wenn er immer sagen konnte, er sei ein Freund der Familie, fast schon wie ein Onkel. Er trug einen feinen grauen Anzug, das Haar war frisch geschnitten und akkurat gekämmt. Nach etwas höflicher, wenn auch, wie bei ihm üblich, ungelenker Konversation, erzählte er ihr von einer Neuigkeit, die sie vielleicht interessieren könnte. Er wolle das Hollis-Haus kaufen, das große, nicht das Farmerhaus daneben, auf der Zulla Road. Er sagte es, den Blick auf die Tischdecke gesenkt, dann blickte er Vivian an.
    »Ich finde das Haus furchtbar«, sagte sie. »Muss schrecklich sein, da zu wohnen.«
    »Oh«, sagte der verwundete Richter.
    »Es hat nichts mit Ihnen zu tun«, sagte Vivian. »Ich hab das Haus noch nie gemocht.«
    »Ah. Das wusste ich nicht.«
    Sie sagte, was sie dachte, das wusste er. In gewisser Weise kam ihm das entgegen. Sie war die begehrenswerteste Frau, die er je gesehen hatte. Sie hatten nicht oft Gelegenheit zu reden, wirklich zu reden. Er nahm all seinen Mut zusammen und sagte:
    »Nun, es gibt auch andere Häuser …«
    Einen Moment war sie nicht sicher, was er damit meinte.
    »Richter …«
    »John«, sagte er.
    »Wollen Sie …?«, begann sie mit einem Lächeln.
    Er gehörte nicht zu den Männern, die entwaffnend lächeln konnten. Er lächelte nicht, wenn er ein Urteil sprach oder ein Bußgeld festlegte, und schließlich wollte er auch ganz deutlich zeigen, wie ernst ihm die Sache war, aber dennoch wurden seine Züge etwas weicher.
    »Ich habe schon eine gescheiterte Ehe hinter mir«, sagte Vivian.
    Der Richter hatte bereits drei hinter sich, auch wenn er sich für schuldlos hielt.
    »Warum bitten Sie nicht Jean Clevinger?«, schlug Vivian leichtherzig vor, ohne zu wissen, dass Mrs Clevinger, die reich und lebhaft war, den Richter schon bei ihrer ersten Begegnung recht deutlich abgewiesen hatte.
    »Nein, nein«, protestierte er. »Jean … wir haben nichts gemein. Wir teilen nicht die wirklich wichtigen, die tiefen Dinge.«
    Vivian wollte sich nicht einmal vorstellen, welche das wohl waren, und auch nichts darüber hören.
    »Ich finde, Sie und ich sollten einfach Freunde bleiben«, sagte sie frei heraus.
    Der Richter fühlte sich nicht im mindesten entmutigt. Er war sicher, einen Fortschritt gemacht zu haben. Er konnte sich eine Weile in Geduld üben, jetzt, da es endlich heraus war. Als sie sich erhoben, deutete er mit leichter Geste auf den Tisch und sagte:
    »Das bleibt doch, ich meine, unter uns?«
    Bowman erzählte seiner Mutter von der neuen Situation. Er wollte ihrer Enttäuschung und ihren Fragen nicht wirklich begegnen, aber es war nun mal nicht zu ändern. Er war übers Wochenende nach Hause gefahren, er konnte es ihr am Telefon nicht sagen.
    »Vivian und ich haben uns getrennt«, sagte er.
    Er spürte einen Stich, als würde er zugeben, versagt zu haben.
    »Oje«, sagte Beatrice.
    »Tatsächlich ging es von ihr aus.«
    »Ah, verstehe. Hat sie einen Grund genannt? Was ist denn falsch gelaufen?«
    »Ich weiß nicht, was der Grund war. Wir passen nicht zueinander.«
    »Sie wird zurückkommen«, prophezeite Beatrice.
    »Ich glaube nicht.«
    Es herrschte einen Moment Stille.
    »Und ist das alles?«, fragte seine

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