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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Mutter.
    »Was meinst du mit alles? Meinst du, ob sie einen anderen Mann hat? Nein. Ihre Mutter hatte einen Schlaganfall, obwohl ich nicht sicher bin, ob es damit etwas zu tun hat. Ein wenig vielleicht.«
    »Einen Schlaganfall? Ist sie tot?«
    »Nein, sie ist in Maryland bei ihrem Vater. Vivian kümmert sich um sie.«
    »Das tut mir ehrlich leid«, sagte seine Mutter. Worauf sie sich bezog, wusste er nicht.
    Es tat ihr nicht wirklich leid, sie fühlte eine unwürdige Freude.
    »Ich habe Vivian kaum gekannt«, sagte sie mit Bedauern. »Sie hat mich nie an sich rangelassen. Ich frage mich, ob es an mir lag? Ich hätte mich vielleicht mehr bemühen sollen.«
    »Ich weiß es nicht«, gestand er.
    Er nahm es stoisch auf, dachte Beatrice, gleichgültig fast. Wenn, dann wäre das wunderbar.
    »Menschen täuschen einen«, sagte sie leise.
    »Ja.«
    Es gab natürlich Dinge, die sie nicht wusste, die Briefe mit den rot und blau umrandeten Umschlägen, Briefe aus London, Ich habe stundenlang versucht, nicht an dich zu denken . Dieser eine aufregende Brief steckte noch immer in seiner Tasche. Er bewahrte ihn dort auf, damit er ihn ab und zu herausholen und noch einmal lesen konnte, auf der Straße, wenn er wollte, oder an seinem Schreibtisch.
    »Warum brauchen Briefe aus Europa eigentlich so lange?«, fragte er einen älteren Agenten, mit dem er sich zum Lunch getroffen hatte. »Die Flugzeuge brauchen nur ein paar Stunden herüber.«
    »Vor dem Krieg hat es nicht so lange gedauert«, sagte der Agent. »Ein Brief dauerte vier Tage, manchmal fünf. Man ist damit direkt zum Schiff, kurz bevor es auslief, und fünf Tage später wurde er in London ausgetragen. Mit Flugzeugen haben wir nur einen Tag gespart«, sagte er.
    Endlich schien die Sonne in London, schrieb sie. Sie war im Grunde wie ein Salamander, sie sehnte sich danach, neben dem Pool in der Sonne zu liegen, oder auch wie ein Frosch auf einem Seerosenblatt, kein großer Frosch, sondern ein schlanker grüner, der gut schwimmen konnte. Sie war eine gute Schwimmerin, wie er wusste – sie hatte es ihm gesagt.
    Sie lag im Bett, hatte Einladungen ausgeschlagen, sie schrieb, ich vermisse dich so sehr . Er schrieb ihr, ich denke vierzehn Mal am Tag an dich. Ich denke immerzu, wann kann ich dich wieder haben? Jeden Morgen nach dem Aufwachen liege ich eine halbe Stunde wach und treibe in Gedanken an dich. Ich kann spüren, wie sich deine Augen öffnen und mich ansehen. Er kannte sie nicht gut genug, um ihr von dem kruden Verlangen zu schreiben, das er tatsächlich fühlte, er wollte es, war sich aber seiner nicht sicher. Ich liebe deinen Körper, wollte er schreiben, ich würde dich gerne ausziehen, ganz schnell, wie ein wunderbares Geschenk, bei dem man das Papier zerreißt. Ich träume von dir jeden Tag, stelle mir dich vor. Wie schön du bist. Mein unendlicher Liebling.
    Am Ende schrieb er ihr diese Dinge. Er war im Bann ihres Profils, ihres strahlenden Lächelns, ihrer Nacktheit und der wunderbaren Kleider, die sie in einer privilegierten fernen Welt trug.
    Du hast mich vollständig zum Leben erweckt , antwortete sie.
    In dem Sommer hörte er, dass Caroline gestorben war, seine Schwiegermutter, früher. Er hatte sie gemocht, ihren angeborenen Aplomb, wenn sie getrunken hatte. Ihre Stimme klang leicht vernuschelt, aber sie achtete kaum darauf, als hätte sie nur einen Krümel Tabak auf der Zunge, als könnte sie ihn genauso gut mit dem Finger wegwischen. Sie hatte nur einmal gehustet und war ganz still geworden und dann auf den Boden gefallen, wo Vivian sie schließlich fand. Als der Krankenwagen kam, war sie bereits tot. Bowman schickte einen großen Strauß Blumen, Lilien und gelbe Rosen, die sie mochte, wie er sich erinnerte, aber er bekam nie eine Antwort, nicht einmal eine kurze Karte von Vivian.

12. Spanien
    Im Oktober fuhren sie nach Spanien. Sie war schon einmal dort gewesen, nicht mit ihrem Mann, sondern mit Freunden, bevor sie verheiratet gewesen war. Die Engländer liebten Spanien. Wie alle nordischen Menschen liebten sie Südfrankreich und Italien, Länder der Sonne.
    Der Himmel über Madrid war ein weites helles Blau. Anders als andere große Städte hatte Madrid keinen richtigen Fluss, die großen von Bäumen gesäumten Alleen waren ihr Fluss, die Calle de Alcalá, der Paseo del Prado. An den Straßenecken stand die Guardia Civil mit ihren schwarzen Hüten und dunklen Gesichtern. Das Land wartete, Franco, der alternde Diktator und Sieger im grausamen Bürgerkrieg,

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