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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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der Bewahrer eines katholischen, konservativen Spaniens, war noch immer an der Macht, auch wenn er sich bereits auf den Tod und die Unsterblichkeit vorbereitete. Nicht weit vor der Stadt wurde eine monumentale Grabstätte in einen Granitfelsen geschlagen, El Valle de los Caidos. Hunderte von Männern, fast alle Zwangsarbeiter aus den Gefängnissen, arbeiteten, den geheiligten Ort fertigzustellen, an dem der große Führer der Falange unter einem vierzig Stockwerke hohen Kreuz zur ewigen Ruhe gebettet werden sollte, von Touristen, Priestern und Botschaftern besucht – bis der letzte der mutigen Männer gestorben war, die an seiner Seite gekämpft hatten. Spanien hatte einen strahlenden Himmel und lag unter Schatten. In einem Buchladen konnte Bowman den zurückhaltenden Besitzer überreden, ihm eine Ausgabe von Lorcas Romancero Gitano zu verkaufen, der verboten war. Er las Enid daraus vor, die unbeeindruckt blieb. Der Prado war dunkel, als wäre er unbeaufsichtigt oder sogar ganz aufgegeben worden, die Meisterwerke waren kaum zu sehen. Sie aßen in einem Restaurant, das von Stierkämpfern besucht wurde, unweit der Arena, aber auch an anderen lauten Orten, die bis spät am Abend geöffnet waren, danach gingen sie auf einen Drink in die Bar im Ritz, wo der Barkeeper sich an Enid erinnern konnte, obwohl sie dort nie übernachtet hatte.
    Sie fuhren für einen Tag nach Toledo und dann weiter nach Sevilla, wo der Sommer verweilte und die Stimme der Stadt, wie der Dichter sagt, Tränen heraufbeschwor. Sie spazierten durch enge Gassen, sie in hohen Schuhen, mit freien Schultern, und saßen im stillen Dunkeln, als tiefe Akkorde die Luft durchdrangen, die selbst den Atem anhielt, Akkord folgte auf düsteren Akkord, der Gitarrist saß reglos und ernst, bis eine Frau auf einem Stuhl neben ihm, die bislang nicht zu sehen gewesen war, die Arme hob und in die Hände klatschte, ein Geräusch wie Pistolenschüsse, dann rief sie ein einziges Wort: Dále! , mit wilder Stimme, immer und immer wieder. Dále , dále , trieb sie die Gitarre an. Dann, langsam, begann der Gesang. Auch wenn sie nicht sang, sie intonierte, sie rief, wiederholte, was man seit jeher wusste, die Gitarre wie Trommeln, hypnotisch, endlos, es war die Siguiriya der Zigeuner, sie sang, als gäbe sie ihr Leben, als riefe sie den Tod. Sie komme aus Utrera, rief sie, dem Ort, aus dem Perrate stammte, dem Ort von Bernarda und Fernanda …
    Ihre Hände waren auf Höhe ihres Gesichts, sie klatschte schnell und rhythmisch, ihre Stimme verzerrt, blind, mit geschlossenen Augen, ihre Arme bloß, silberne Kreolen an den Ohren, ihr langes schwarzes Haar. Das Lied war ihr Lied und gehörte der Vega, der weiten Ebene mit ihren sonnendunklen Arbeitern, der schimmernden Hitze, sie ließ alle Verzweiflung des Lebens heraus, den Schmerz, die Verbrechen, das Klatschen war hart und unerbittlich, ein Ort namens Utrera, das Haus, in dem es geschah, der Geliebte bleibt tot zurück, und ein Mann mit schwarzer Hose und langem Haar trat plötzlich aus dem Dunkeln, seine stahlbeschlagenen Hacken explodierten auf dem Holzboden, seine Arme bogen sich über dem Kopf. Die Frau sang mit noch größerer Intensität, dazu die getriebenen Akkorde, der kraftvolle, schnelle Schlag der Hacken, das Silber, das Schwarz, der Körper des Mannes zu einer einzigen Kurve gebogen, Hunde trotteten im Dunkeln dicht neben den Häusern, fließendes Wasser, das Geräusch der Bäume.
    Danach saßen sie in einer kleinen, zur schmalen Straße hin offenen Bar. Sie redeten kaum.
    »Was hast du gedacht?«, sagte er.
    Sie antwortete nur: »Mein Gott.«
    Später im Zimmer begann er sie wild zu küssen, ihre Lippen, ihren Hals. Er schob die Träger von ihren Schultern. So konnte man niemanden nehmen. Sein altes, in Ketten gelegtes Leben lag hinter ihm, es war verwandelt wie durch eine Offenbarung. Sie liebten sich, als wäre es ein Gewaltverbrechen, er hielt sie an der Taille, halb Frau, halb Vase, und gab dem Akt noch mehr Gewicht. Sie schrie wie ein Hund kurz vor dem Tod. Sie sackten zusammen, wie erschlagen.
    Er erwachte im frühen Licht, das die Spitzenvorhänge streifte. Das Bad belebte ihn. Sie schlief noch immer, fast ohne zu atmen, wie ihm schien. Er sah sie voller Staunen an. Während er neben ihr stand, fand ihre Hand langsam aus den Laken, tastete nach ihm, zog dann das Handtuch weg und schloss sich sachte um sein Glied. Sie lag da mit ruhigem Blick, ohne ein Wort. Er begann anzuschwellen. Ein kleiner, transparenter

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