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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Endlose, ruhige Straßen, Häuserzüge, Nervenheilanstalten, Schulen, alle, wie es schien, mit Leere angefüllt, und dazwischen das einfache Glück der Vorstadt und wohlklingende Namen, Maplewood, Brick Church. Die weiten Flächen des Golfplatzes mit seinem makellosen Grün. Er war von dort, stammte von dort, und doch, während er daran vorbeifuhr, spürte er keine Verbindung.
    An der Ecke stand der Diner, in den er bei ihrem ersten Besuch mit Vivian gegangen war. Es war nicht mal der Diner, über den Hemingway geschrieben hatte, wie er mittlerweile wusste. Das war an einem anderen Ort namens Summit gewesen, in der Nähe von Chicago, aber damals hatte er noch so manch andere irrige Vorstellung gehabt. Er hatte bei so vielem falschgelegen. Er erinnerte sich an Vivian, aber nur wie an eine Ansammlung bestimmter Ereignisse, als wären es Fotografien. Er erinnerte sich nicht an ihre Stimme, und nur mit Staunen – teilweise mit Staunen – überlegte er, was ihn dazu gebracht hatte zu glauben, sie wäre das Mädchen, das er heiraten sollte.
    Früher war er zur Schule gelaufen, der Summit Highschool auf der Morris Avenue, die einen so guten Ruf besaß, dass Colleges der Ivy League einfach jeden Studenten aufnahmen, den der Direktor empfehlen konnte. Vor dem Krieg schien das nicht weiter außergewöhnlich, so liefen die Dinge nun mal. Damals kannte man Japan aus der Wochenschau und von billigen Produkten mit dem Aufdruck Made in Japan . Niemand, zumindest kein normaler Bürger, träumte auch nur davon, dass dieses merkwürdige ferne Land aus Gilbert und Sullivan so gefährlich war wie ein offenes Rasiermesser und die Disziplin und Verwegenheit besaß, das Unvorstellbare zu tun, mit einer Übermacht und unter absoluter Geheimhaltung den nördlichen Pazifik zu überqueren und im Grauen eines ruhigen Morgens in einem fast vernichtenden Schlag die nichtsahnende amerikanische Flotte in Pearl Harbor anzugreifen. Pearl Harbor, kaum einer wusste, wo Pearl Harbor überhaupt lag, man hatte nur eine ungefähre Vorstellung. Als die Nachricht in Amerika über den Rundfunk ging und die Ruhe des Sonntagnachmittags durchbrach, wurden keine Einzelheiten bekannt, und das Ganze schien ohne jeden Sinn. Die Japaner. Ein Angriff. So vollkommen unerwartet.
    Er war damals noch ein Schuljunge. Seine Mutter war in den Dreißigern. An seinen Vater konnte er sich kaum erinnern. Es hatte etwas von einer Schmach, wenn die Eltern geschieden waren. Er kannte nur einen anderen Jungen wie ihn, ein merkwürdiger Junge namens Edwin Semmler mit einem großen Kopf, der ungemein schüchtern war und ein herausragender Schüler – man nannte ihn ›Das Gehirn‹. Jeder in der Klasse oder fast jeder war auf den Abschlussball gegangen und danach auf eine der Partys im Hotel, fast jeder, außer Semmler. Niemand erwartete es von ihm. Niemand wusste viel über ihn, er drehte den Kopf zur Seite, wenn er an einem vorbeiging. Bowman hatte mehrere Male versucht, mit ihm zu reden, aber ohne großen Erfolg. Wie er hörte, war er im Krieg gefallen. Er war bei der Infanterie gewesen, es war schwer vorstellbar. Kenneth Keogh war nicht gefallen, aber was ihm geschah, war fast ebenso schlimm. Auch er war bei der Infanterie gewesen, im Rang eines Sergeant, und hatte den Krieg unverletzt überstanden. Während der Besatzungszeit dann wurde er in der Kaserne von einer Kugel an der Wirbelsäule verletzt, sie hatte sich aus Versehen gelöst, als jemand sein Gewehr putzte, und er war von der Taille abwärts gelähmt. Er fuhr mit seinem Rollstuhl in New York jeden Tag mit dem Zug zur Arbeit. Bowman hatte ihn ein paar Mal gesehen, es war derselbe Kenneth Keogh, nur mit Beinen wie von einer Lumpenpuppe.
    Oberhalb eines Rasenhangs auf der Essex Road wohnte in einem weißen Haus das unglaublichste Mädchen der Stadt, Jackie Ettinger, die ein oder zwei Jahre älter war als er und eigentlich viel zu schön, um sie überhaupt zu kennen. Sie war nicht geblieben, sie war auf eine Schule in Connecticut gegangen und Fotomodell geworden. Sie war achtzehn, als er sechzehn war. Eine andere Welt. Sie wurde ins Brook ausgeführt, einen exklusiven Nachtclub – er selbst war nie dort gewesen. Später hatte sie geheiratet. Selbst jetzt, wäre er ihr begegnet, bei allem, was er jetzt war, hätte er nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Sie war lange Zeit eine Gestalt in seiner Fantasie. Während seiner Ausbildung als Marineoffiziersanwärter hatte er an sie gedacht und auch später in dem kleinen

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