Alles, was ist: Roman (German Edition)
Zimmer ohne Bad in einer Seitenstraße der Central Park West, diesem schäbigen Zimmer, als er hörte, dass sie geheiratet hatte. Er war der zurückgelassene Junge aus einem Gedicht, das er einmal gelesen hatte, in Briefform gehalten und von einem Mädchen geschrieben, das plötzlich zur Gesellschaft gehörte. Ihr Vater war reich geworden, und eines Nachts, zurück von einem Ball, schrieb sie um Mitternacht einen Brief an einen Jungen, den sie einmal gekannt und nie aus den Augen verloren hatte und der immer noch ihr Herz besaß.
Was war aus ihnen allen geworden? Sie hatten Berufe ergriffen. Ein paar waren Anwälte geworden. Richter war Chirurg. Er dachte an seinen Lieblingslehrer, Mr Boose, der jünger gewesen war als die anderen Lehrer, ein ernsthafter Einzelgänger, über den man sich hinter seinem Rücken lustig machte. Boozie nannten sie ihn. Er wäre mittlerweile in Rente, wenn er an der Schule geblieben war. Er hatte Bowman während des Kriegs mehrere Male geschrieben.
Eines Nachmittags erkannte seine Mutter ihn nicht wieder. Sie fragte ihn, wer er sei.
»Ich bin Philip. Dein Sohn.«
Sie sah ihn an, dann sah sie weg.
»Du bist nicht Philip«, sagte sie, als würde sie sich auf das Spiel nicht einlassen.
»Mutter, ich bin es wirklich.«
»Nein. Ich möchte meinen Sohn sehen«, sagte sie zu Dorothy.
Der Zwischenfall, wenn auch irreal, war sehr verstörend. Er schien das Band zwischen ihnen zu kappen, als würde sie ihn ablehnen. Er würde es ihr nicht erlauben.
»Ich bin nicht Philip«, sagte er. »Ich bin dein guter Freund.«
Sie schien es zu akzeptieren. Ihm wurde klar, ihre Verwirrung war nicht ihre, sondern seine, er allein musste sie verstehen. Sie wurde seltsam, unwissend, und fühlte sich offenbar allein. Er dachte an Vivian und ihre Loyalität gegenüber ihrer Mutter, die er so gemocht hatte. Es hatte etwas Rührendes gehabt. Er dachte an seine eigene Mutter, wie sehr er sie geliebt hatte, wie sie gewesen war, all die vielen Morgen, die Mahlzeiten, die sie zusammen gegessen hatten und die sie für ihn gekocht hatte. Er wusste, sie mussten sich jetzt um sie kümmern und durften sie nicht alleinlassen.
Aber im November rutschte Beatrice in der Badewanne aus und brach sich das Handgelenk und die Hüfte. Dorothy konnte sie nicht aus der Wanne heben, sie mussten den Notarzt rufen. Der Sturz war sehr erschreckend gewesen. Beatrice hatte Schmerzen und wusste, was passiert war. Sie nahm den Krankenhausablauf verwirrt aber klaglos hin. Die Schwestern waren geduldig mit ihr.
Bowman kam sofort. Das Krankenhaus hatte flüsternde Flure, und viele der Zimmertüren waren geschlossen. Er fand seine Mutter geschwächt und schweigsam vor. Sie hatte Angst, das Krankenhaus nicht wieder zu verlassen.
»Natürlich wirst du das«, versicherte er ihr. »Ich hab mit dem Arzt gesprochen. Das wird schon wieder.«
»Ja«, sagte sie.
Sie saßen eine Weile schweigend da.
»Ich hab wirklich Probleme«, sagte sie. »Irgendwie schaffe ich das alles nicht mehr. Ich weiß nicht, warum. Wenn man stirbt«, sagte sie. »Was meinst du, passiert dann mit einem?«
»Du wirst nicht sterben.«
»Ich weiß, aber was meinst du, passiert dann?«
»Etwas Wunderbares.«
»Oh, Philip. Nur du kannst so etwas sagen. Weißt du, was ich glaube?«
»Was?«
»Ich denke, es passiert genau das, was man glaubt.«
Er erkannte die Wahrheit darin.
»Ja, ich denke, da hast du recht. Und was, glaubst du, wird passieren?«
»Oh, ich stelle mir vor, ich wäre an einem wunderschönen Ort.«
»Wie zum Beispiel?«
Sie zögerte.
»Wie Rochester«, sagte sie und lachte.
Ihre Aufmerksamkeitsspanne wurde kürzer, als sie aus dem Krankenhaus kam, und sie lebte nur noch teilweise in der Realität. Sie war auch ängstlicher geworden. Dorothy konnte sich nur noch schwer zu Hause um sie kümmern, und es würde zwangsläufig schlimmer werden.
Bowman war der Gedanke an ein Pflegeheim zuwider, es bedeutete, dass er sie alleinließ. Ein Heim war ein Ort für alte Menschen, um die sich niemand mehr sorgte. Nichts blieb ihnen, während sie dalagen und warteten oder die Flure entlangschlurften oder mit hängendem Kopf durch die Gegend geschoben wurden. Sie konnten jahrelang so leben. Beatrice mochte müde sein, sie mochte trübsinnig sein, aber sie war anders als die Menschen dort. Sie war alt geworden, aber nicht für so ein Leben. Es war schlimmer, als zu sterben. Wie sie gesagt hatte, es passierte, was man glaubte, dass passierte. Man war man selbst bis
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