Alles, was ist: Roman (German Edition)
zum Schluss, bis zum allerletzten Moment. Im Pflegeheim ging das, was man glaubte, verloren.
17. Christine
In London ähnelte Bernard Wiberg immer mehr einem Lord, was er, wenn man gewissen Kreisen glaubte, auch bald sein könnte. In seinen dunklen Maßanzügen sah er hervorragend aus, und seine Selbstachtung, wenn auch beträchtlich, überstieg doch niemals seinen Erfolg. Für Bücher, die ernst genommen werden wollten, war er der bevorzugte und erhoffte Verleger, er hatte ein untrügliches Gespür für Bücher, die Geld einbrachten. Kaufte er ein Buch, war es immer zu einem günstigen Preis, wie hoch der auch immer war. Bücher, für die er wenig zahlte, fanden stets eine Anhängerschaft, und Bücher, für die er tiefer in die Tasche greifen musste, zahlten sich immer aus. Es war egal, was Dinge kosteten, was zählte, war ihr Wert.
Es hieß, er würde bald heiraten, eine frühere Ballerina, die man oft auf Fotos in Hochglanzmagazinen sah, auf Partys oder irgendwelchen Diners. Sie war eine Frau, die offenbar ein luxuriöses Leben führte, und als Lady Wiberg würde sich das nicht ändern. In der Oper oder im Ballett erschien Wiberg stets elegant gekleidet, in Frack, wenn es der Anlass erforderte, und auch sein Haus bewahrte seinen Stil. Er hatte in Frankreich mit dem Herzog und der Herzogin von Windsor diniert, ein sagenhaftes Protokoll, alle hatten anwesend zu sein, bevor das königliche Paar erschien. Und von Catarina, der früheren Tänzerin, war er ermuntert worden, dann und wann nach dem Theater ein kleines Essen zu geben, soirées , wie sie sie nannte, mit einem kalten Buffet aus Roastbeef und Pâté auf dem Esstisch, sowie Gebäck und Wein bekannter Provenienz. Wenn sie alleine waren, nannte sie ihn ihren cochon . Im Bademantel oder mit weißen Hosenträgern war er ihr Falstaff oder Figaro, und sie hatte ein unwiderstehliches Lachen.
Enid war noch immer eine Freundin von ihm, besonders dann, wenn seine Verlobte in Bozen ihre Familie besuchte oder wegen einer Produktion verreist war, nicht länger als Darstellerin, aber sie hatte sich mit der Zeit einen Namen als Beraterin gemacht, und auch als Choreografin. Enid war im Filmgeschäft gelandet, zuerst als Assistentin eines Produzenten, für den sie Reservierungen in Restaurants und auf Flügen machte und den sie zu Abendessen begleitete. Sie verbrachte einige Zeit am Drehort eines Films, lernte etwas über Continuity, den Anschluss im Film, und was ein Scriptgirl tat. Die Filmcrew war nett, und doch blieb sie eine stilvoll gekleidete Außenseiterin, auch am Abend, wenn sie zusammen noch einen trinken gingen. In einer Gesprächspause fragte der amerikanische Regisseur sie beiläufig vor versammelter Mannschaft: »Und, Enid, vögelst du auch?«
»Ich wäre schön blöd, wenn nicht«, antwortete sie gelassen und auf eine Weise, die ihn auszuschließen schien.
Er ging nicht weiter darauf ein. Ihre Antwort wurde oft zitiert.
Bowman war in London auf der Buchmesse gewesen, und sein Rückflug verzögerte sich. Er landete in New York um neun Uhr abends. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er seine Taschen hatte und nach draußen konnte, um sich ein Taxi zu nehmen. Es gab eine lange Schlange, er musste sich das Taxi mit jemandem teilen, eine Frau mit drei oder vier Gepäckstücken, die auch zur West Side fuhr. Sie saß zurückgelehnt, den Mantel um die Schultern gelegt, die Ärmel sahen aus, als wären sie aufgeschnitten. Sie fuhren, ohne etwas zu sagen. Bowman hatte sich darauf eingestellt, für sich zu sein, und beachtete sie nicht weiter. In der Stadt waren fremde Frauen nicht immer, was sie vorgaben. Es gab Frauen mit Kummer, verwirrte Frauen, Frauen, die ganz offensichtlich auf der Suche nach Männern waren.
Als sie auf die Schnellstraße kamen, sagte sie:
»Von wo kommen Sie?«
Es war die Art, wie sie fragte. Fast, als würde sie ihn kennen.
»London«, sagte er und sah sie das erste Mal offen an. »Und Sie?«
»Aus Athen.«
»Das ist ein langer Flug«, bemerkte er.
»Alle Flüge sind lang. Ich fliege nicht gerne. Ich habe immer Angst, das Flugzeug könnte abstürzen.«
»Ich denke, davor muss man sich nicht fürchten. Es geht schnell. In einer Sekunde ist alles vorbei.«
»Es geht um das Davor, wenn man weiß, dass man abstürzen wird.«
»Ja, das stimmt wohl, aber wie würden Sie lieber sterben?«
»Anders«, sagte sie.
Im Licht der entgegenkommenden Autos konnte er ihr dunkles Haar und den dunklen Lippenstift erkennen und nahm an, sie wäre
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