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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Griechin. Die Schnellstraße verlief parallel zu Manhattan, das wie eine lange Lichterkette am anderen Flussufer lag. Am Ende war das Finanzviertel und dann, von Midtown aufwärts, die unzähligen hohen Gebäude, die großen Lichterkästen. Es war wie ein Traum, der Versuch, sich das alles vorzustellen, die Fenster und all die Stockwerke, die nie dunkel wurden, die Welt, in die man sich wünschte.
    »Leben Sie in Athen?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie gelassen. »Ich habe meine Tochter dort hingebracht. Sie besucht dort ihren Vater.«
    »Ich war noch nie in Griechenland.«
    »Das ist schade. Es ist ein wunderbares Land. Wenn Sie fahren, sollten Sie sich die Inseln ansehen.«
    »Eine im Besonderen?«
    »Es gibt so viele«, sagte sie.
    »Ja.«
    »An manchen Orten scheint die Zeit vorübergegangen, alles ist so unberührt.«
    Sie sahen einander an, ohne zu reden. Er wusste nicht, was sie in ihm sehen mochte. Sie hatte klare, ebenmäßige Züge.
    »Die Leute dort haben etwas, das man hier nicht findet«, sagte sie. »Sie haben Lebensfreude.«
    »Das ist Unsinn«, sagte er.
    Sie achtete nicht darauf.
    »Waren Sie geschäftlich in London?«
    »Ja, geschäftlich. Auf der Londoner Buchmesse.«
    »Sind Sie Verleger?«
    »Nein, nicht ganz. Ich arbeite als Lektor. Ein Verleger hat andere Aufgaben.«
    »Und was für Bücher geben Sie heraus?«
    »Hauptsächlich Romane«, sagte er.
    »Die Freundin, bei der ich wohne, kommt in einem Roman vor. Sie ist sehr stolz darauf. Im Buch ist ihr Name Eve. In Wirklichkeit heißt sie anders.«
    »Wie heißt das Buch?«
    »Ich vergess den Titel immer, ich les nur die Stellen über sie. Sie kannte den Autor. Und wie heißen Sie?«, sagte sie nach einer Pause.
    Ihr Name war Christine, Christine Vassilaros. Sie war keine Griechin, sie war mit einem Griechen verheiratet, einem Geschäftsmann, von dem sie getrennt lebte. Ihre Freundin Kennedy, die in dem Roman vorkam, lebte ebenfalls getrennt. Sie wohnte in einer mietpreisgebundenen Wohnung, einem Relikt aus der Zeit vor den beiden Weltkriegen und der Zeit dazwischen. Das Apartment gebe ich nicht her, hatte sie gesagt. Es war wie ein Apartment in Havanna, mit den Charme vergangener Zeiten und spärlich möbliert. Es lag auf der fünfundachtzigsten Straße.
    Sie hielten zuerst in Bowmans Straße. Er gab ihr etwas mehr als die Hälfte des Fahrpreises.
    »Es war nett, dass Sie mit mir das Taxi geteilt haben«, sagte er. »Darf ich Sie einmal anrufen?«, fragte er geradeheraus.
    Sie schrieb eine Telefonnummer auf die Rückseite eines Flugscheinabrisses.
    »Hier«, sagte sie.
    Und drückte ihn ihm in die Hand.
    Als das Taxi losfuhr, war er wie benommen. Die Rücklichter verschwanden die Straße hinunter und trugen sie mit sich fort. Es war wie in einem Theaterstück, ein glorreicher erster Akt. Der Pförtner grüßte ihn.
    »Guten Abend, Sir.«
    »Ja, guten Abend.«
    Ich habe die wundervollste Frau kennengelernt, wollte er sagen. Er hatte sie durch Zufall getroffen. Er dachte aufgeregt darüber nach, auf dem Weg nach oben und auch im Apartment. Sie war verheiratet, hatte sie gesagt, aber das war verständlich – ab einem gewissen Punkt im Leben war das wohl jeder. Ab einem gewissen Punkt glaubte man auch, jeden zu kennen, es gab niemanden wirklich Neues, und man verbrachte den Rest seines Lebens unter bekannten Menschen, Frauen insbesondere. Es war nicht ihre Freundlichkeit, es war das und mehr. Er wollte ihre Telefonnummer ausprobieren, aber das war Unsinn. Sie wäre nicht einmal in ihrer Straße angekommen. Er war bereits ungeduldig. Er durfte es nicht zu offen zeigen.
    Als sie ihn am nächsten Tag zum Lunch traf, wusste er, dass alles umsonst war. Sie war jünger, als er gedacht hatte, auch wenn er nicht ganz sicher war. Sie saßen einander gegenüber. Sie hatte den Hals einer Zwanzigjährigen, auf ihrem Gesicht waren nur zarteste Fältchen von ihrem Lächeln. Sie ließ einen körperlich erschauern. Er wollte dem nicht erliegen, war aber außerstande, es zu verhindern, ihr Nacken, ihre bloßen Arme. Sie war sich all dessen zweifellos bewusst. Berausche dich nicht, schien sie zu sagen. Er sah sie so nah vor sich. Ihr glänzendes, dunkles Haar. Ihre Oberlippe war geschwungen. Sie hielt die Gabel mit einer Art Laszivität, als könnte sie sie jeden Moment hinlegen, aber sie aß mit voller Gabel und sprach gelassen, von dem Essen nicht abgelenkt. Ihre andere Hand hielt sie halb geschlossen in der Luft, als würde sie ihre Nägel trocknen. Lange,

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