Alles, was ist: Roman (German Edition)
makellos. Ihr Aussehen. Man war sich ihrer am Tisch auf jeden Fall sehr bewusst, und sie war anmutig und sagte nicht viel, sie kannte niemanden von ihnen und drängte sich nicht auf. Der Biograf, der an dem Buch seit Jahren arbeitete, hatte einmal Gelegenheit gehabt, Apollinaires alte Geliebte kennenzulernen, nicht die, die aus dem Fenster gesprungen war, als Apollinaire starb, sondern eine andere, eine Russin. Apollinaire hatte ein Gedicht über sie geschrieben.
»Ich war ganz aufgeregt, dass ich sie sehen durfte. Ich erwähnte natürlich das Gedicht. Sie war mittlerweile alt. Wissen Sie, was sie sagte? Sie sagte: Oui, je mourrai en beauté . Ich werde schön sein, bis ich sterbe, oder ich werde in Schönheit sterben – man kann es nicht wirklich übersetzen. Wenn ich sterbe, werde ich noch immer schön sein, so etwas in der Art.«
Danach sprachen sie vom Sterben und dann vom Himmel.
»Ich will mir den Himmel gar nicht vorstellen«, sagte die Gastgeberin. »Zum einen die Menschen, die dort mal landen. Und ich glaub einfach nicht, dass es so etwas wie den Himmel gibt.«
»Sind Sie verheiratet?«, fragte der Biograf Bowman und Christine.
»Nein. Nicht ganz«, sagte Bowman, um jedes weitere Interesse seitens des Biografen zu beenden.
Er dachte nicht an Heirat, aber an alles, was dazu führte. Er hatte tatsächlich ununterbrochen an Christine gedacht. Er wusste, dass er etwas Normales tun musste, sie auf einen letzten Drink oder Schlummertrunk zu sich nach oben bitten, allein das Wort schien antiquiert, wenn nicht sogar anstößig. Er war sicher, dass sie ihn mochte, aber gleichzeitig wollte er es nicht auf die Probe stellen. Er hasste die Vorstellung, ungeschickt zu wirken. Gleichzeitig wusste er, dass es nicht wichtig war, dass, sobald sie den Punkt überwunden hätten, alles Merkwürdige vergessen wäre. Aber es war egal, was er wusste. Vielleicht hatte er auch alles vergessen, was er wusste. Der Journalist erzählte von einem berühmten Mordfall – wo das Ganze passiert war, wurde nicht klar –, bei dem etwas Sperma auf einer Zigarette den Mörder überführte. Er sprach es S-perm aus und wiederholte das Wort noch mehrere Male. Niemand korrigierte ihn.
Als sie vom Tisch aufstanden, sagte Christine mit leiser Stimme:
»S-perm?«
»Wird die französische Aussprache sein«, sagte Bowman.
» Spermé?« , schlug sie vor.
»Ich glaub, das ist ein Lied.«
»Mmh. Werd ich mal probieren«, bemerkte sie, als redeten sie von einem ungewöhnlichen Gericht. Dann fügte sie hinzu: »Hast du vielleicht etwas?«
Machte sie immer noch Spaß? Sie sah ihn nicht an.
»Ja«, sagte er. »Viel.«
»Ich dachte mir, dass du das sagst.«
Eine Weile fuhren sie schweigend nebeneinander im Taxi, als würden sie ins Theater fahren. Dann küsste er sie ruhig und voll auf ihre Lippen. Der Geschmack war frisch. Er roch ihr Parfum. Er hielt ihre Hand, während sie mit dem Fahrstuhl nach oben fuhren.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte er.
»Nicht wirklich.«
»Ich nehm mir etwas.«
Er goss sich einen Bourbon ein. Er spürte, dass sie ihn beobachtete. Er trank relativ schnell. Er begann sie wieder zu küssen, hielt sie an den Armen.
Im Schlafzimmer zog er ihr die Schuhe aus. Dann, im Licht des angrenzenden Zimmers, entkleideten sie sich zu beiden Seiten des Betts.
»Du meintest viel.«
»Ja.«
Sie ging ins Badezimmer. Sie kam heraus, und er sagte:
»Nein, bleib einen Moment so stehen.«
Er versuchte, sie langsam zu betrachten, aber es gelang ihm nicht. Es war das erste Mal, es blendete einen, immer.
»Komm her«, sagte er.
Sie lag neben ihm, die ersten Minuten neben ihm, wie ein Schwimmer in der Sonne. Er konnte ihre Nacktheit sehen, fast alles an ihr, im nahen Dunkel. Sie liebten sich sehr einfach, sehr direkt – sie sah zur Decke, er auf die Laken –, beinahe wie Schulkinder. Alles war still, nur der Verkehr war zu hören, fern und weitab und nicht einmal das. Die Stille war überall, und er kam wie ein trinkendes Pferd. Er lag eine lange Zeit auf ihr, träumend, erschöpft. Sie hatte seit mehr als einem Jahr mit niemandem geschlafen, und sie lag ebenfalls träumend, dann schlief sie ein.
Sie erwachten im neuen Licht der Welt. Sie sah genau aus wie am Abend zuvor, nur ihre Lippen waren blass und ihre Augen schlicht. Sie liebten sich noch einmal, er war wie ein Junge von achtzehn Jahren, unbezwingbar hart. Das Apartment war auf eine Weise schön wie nie zuvor, das Licht darin, ihre Gegenwart. Sie waren nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher