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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Zugpfeife.
    Leon saß am Fenster, und Dena neben ihm sah an ihm vorbei, während sich die Landschaft vor ihr ausbreitete und der Tag sich dem Abend zuneigte. Sie wünschte, Neil wäre mitgekommen. Es war so schön. Er würde etwas Eis bestellen, sie würden einen Drink nehmen. Sie konnte das Klirren der Eiswürfel in den Gläsern hören. Vielleicht würden sie ein andermal nach Chicago fahren und sich die Stadt ansehen, sie war fast so groß wie New York, wie es hieß. Der Fluss war unter ihnen weggefallen und irgendwie verschwunden, während sie langsam nach Albany hineinfuhren mit seinen düsteren Staatsgebäuden und alten Straßenzügen. Vereinzelte Kirchturmspitzen standen beruhigend vor dem letzten Licht.
    Irgendwann nach sieben gingen sie vor zum Speisewagen, um zu Abend zu essen.
    »Ach, das wird schön«, sagte Dena fröhlich.
    Sie begann zu singen, nothing could be finer than to be in Carolina , auch wenn der Limited nach Norden am Eriesee entlangfuhr, und der Texas Eagle nicht mal in die Nähe von Carolina kam.
    Der Zug machte einen Ruck zur Seite. Sie verloren fast das Gleichgewicht. Sie hatte recht, der Speisewagen war hell erleuchtet wie eine Theaterbühne, Kellner in weißen Jacketts bewegten sich geschmeidig zwischen den Tischen, während der Zug unter ihren Füßen schlingerte und schwankte.
    »Wie auf der Wildwasserbahn!«, rief Leon.
    Der Chefkellner brachte sie an einen Tisch für zwei. Auf der Karte stand gebratenes Lendensteak mit Pommes frites. Hinter dem großen schwarzen Fenster trieben in der Ferne gelbe Lichter wie Lampions durch die ländliche Dunkelheit, dann, plötzlich und überraschend, rot aufleuchtende Signale oder ein einzelnes weißes Licht, das vorbeizischte wie ein Komet. Sie bestellten ein Glas Wein.
    Der Wagenschaffner hatte ihre Betten aufgedeckt, während sie beim Essen waren, frische weiße Laken und straff gezogene Decken. Leon nahm die obere Liege, und gegen neun Uhr dreißig kletterte er hinein. Er zog sich die Schuhe aus und stopfte sie an der Seite in eine Art Hängematte, dann das Hemd und die Hose, die er im Liegen abstreifte. Der Zug hatte in der Zwischenzeit angehalten und blieb eine halbe Ewigkeit stehen.
    »Warum halten wir?«, rief er. »Wo sind wir?«
    »Wir sind in Syracuse«, sagte ihm Dena. »Oben, im Norden. Immer noch in New York.«
    Sie konnten Stimmen hören, Leute, die erst spät den Zug bestiegen hatten und auf dem Gang vorbeikamen.
    »Wo sind wir am Morgen?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht. Wir werden sehen.«
    Endlich setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Das Land trieb vorbei wie ein düsteres Gemälde, Bäume in der Dunkelheit, von den Fenstern des Zuges erhellt. Einsame, schlafende Häuser, schwarz und still. Die Lichter einer Ortschaft mit leeren Straßen. Dena spürte ein seltsames Glück in der Stille des Abteils.
    Nach einer Weile sagte sie:
    »Schläfst du?«
    Es kam keine Antwort. Auf der Scheibe sammelten sich Regensprenkel, sie nickte langsam ein, öffnete aber wieder die Augen, als sie sich über eine breite Trasse von Gleisen bewegten, die mit ihren zusammenliefen. Sie waren in Buffalo. Danach überquerten sie einen Fluss und fuhren am Ufer des Eriesees entlang, vorbei an einsamen Bahnhöfen, ohne eine Menschenseele.
    Ungefähr gegen ein Uhr morgens brach aus unbekannten Gründen am Ende des Waggons ein elektrisches Feuer aus, und der Korridor füllte sich mit Rauch. Dena wurde von dem beißenden Geruch geweckt. Etwas drang durch den Spalt unter der Abteiltür. Sie schlief noch halb, stand aber schnell auf, um nachzusehen. Rauch drang durch die Türritzen; als sie sie öffnete, flutete er herein. Sie schloss die Tür, hustete und rief nach Leon. Niemand hatte die Notbremse gezogen oder Alarm gegeben. Der Zug war nicht langsamer geworden. Ein Schaffner im nächsten Wagen bemerkte es schließlich. Sie stemmten die Türen auf, kamen aber wegen dem Rauch nicht weiter. Als der Zug endlich angehalten hatte und die Fenster eingeschlagen wurden, waren sieben der Passagiere aus Abteilen, die dem Feuer am nächsten waren, erstickt. Darunter auch Dena und ihr Sohn Leon.

19. Regen
    Die Wege gehen auseinander. In dem Haus über dem Fluss, an das ein Zimmer angebaut worden war, ein kleines Zimmer von einladender Größe mit einem Fenster an der Seite, dass man fast Lust hatte, sich hineinzusetzen und ein Buch zu lesen oder hinaus in den kleinen Garten zu sehen, der ungepflegt war, aber auch heimelig, vielleicht wegen der Skulptur darin, einer

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