Alles, was ist: Roman (German Edition)
hielt ihn wie nebenbei in der Hand, er wusste, was sie dachte. Sie hätten tagelang so liegen und reden oder schweigen können. Der Nachmittag war unvergesslich.
»Warum sind wir immer so müde?«, fragte er. »Es kann doch nicht so anstrengend sein.«
»Doch«, sagte sie.
Eddins erholte sich langsam. Er hatte schließlich akzeptiert, was geschehen war, aber er blieb beschädigt. Er widmete sich dem Leben nicht mehr so wie früher, war passiver. Anders als früher konnte er ruhig dasitzen und anderen zuhören. Er saß im Theater und hörte, wie sich zwei Frauen neben ihm, kurz bevor der Vorhang aufging, lebhaft über einen Film unterhielten, den sie gesehen hatten, was darin passiert war, wie sehr er dem Leben ähnelte. Sie waren wohl in ihren Vierzigern und nicht so anders als Frauen, für die er sich hätte interessieren können, hätte er sie kennengelernt, aber er wollte sie nicht kennenlernen. Oder auch das Paar zwei Reihen vor ihm, die Frau. Ihm war ihr schönes, volles Haar aufgefallen und der Pelzkragen an ihrem Mantel. Ihr Kopf lehnte fast an dem des Mannes, und ab und zu drehte sie sich leicht zur Seite und sagte etwas zu ihm. Sie hatte slawische Wangenknochen und eine lange Nase, die direkt an der Stirn ansetzte, eine römische Nase, ein Zeichen von Souveränität. Er hatte das Gefühl, er müsste sich das Gesicht einer Frau nur ansehen, und schon könnte er ihren Charakter wiedergeben. Delovets Freundin, eine Schauspielerin oder ehemalige Schauspielerin, die aber ob so oder so zu wenig gemacht hatte, erkannte Eddins auf den ersten Blick als Trinkerin, die sicher unangenehm wurde, wenn man nicht lieb zu ihr war. Delovet fiel es schwer, sich von ihr zu lösen. Er war von ihr gelangweilt und oft ungehalten, gab aber gleichzeitig gerne mit ihr an. Ihr Name war Diane Ostrow, sie wurde Dee Dee genannt. Eddins kannte niemanden, der sie je auf der Bühne gesehen hatte. Sie hatte schwarzes Haar und ein hungriges Lachen. Und genügend Verstand, um nicht tiefer abzurutschen. Sie konnte ohne große Mühe überredet werden, die Namen gleich mehrerer Stars zu nennen, mit denen sie geschlafen hatte. Sie mochte es, wenn sie nackt einen Kopfstand für sie machten.
»Das haben gleich mehrere getan?«
»Zwei«, sagte sie beiläufig. »Und wofür schlägt Ihr Herz so?«, fragte sie Eddins.
»Ringen«, sagte er.
»Wirklich?«
»Ich hab für die Universität ein paar Kämpfe bestritten«, sagte er. »Ich war der Schrecken im Ring.«
»Für welche Universität?«
»Für alle«, sagte er.
Eines Tages im Taxi, er fuhr in südlicher Richtung auf der Park Avenue, sah er an einer Straßenecke eine Frau. Sie trug teure Schuhe, ihr Mantel war in der Taille mit einem Stoffgürtel zusammengebunden, eine Frau, die bis in jede Einzelheit ihrer Klasse entsprach. Sie lebte ohne Zweifel auf der Park Avenue und hatte vielleicht gewöhnliche Sorgen und Ängste, aber das Bild von ihr beeindruckte ihn, ihre Haltung und eine gewisse Galanterie.
Er begann mehr auf seine Kleider und Erscheinung zu achten. Er kaufte ein paar weiche Baumwollhemden und einen blauen Seidenschal. Bei schönem Wetter ging er zu Fuß zur Arbeit.
Ungefähr zu dieser Zeit lernte er in der New York Public Library eine geschiedene Frau namens Irene Keating kennen. Es war nach einem Vortrag, die Leute standen in der Eingangshalle und tranken noch einen Wein. Sie war allein gekommen und fühlte sich nicht so richtig wohl, trug aber ein hübsches Kleid. Sie lebte in New Jersey, nur ein paar Minuten entfernt, sagte sie.
»Mehr als ein paar Minuten«, sagte er.
»Wohnen Sie in der Stadt?«
»Ich habe ein Haus in Piermont«, sagte er.
»Piermont?«
»Am Fuß der Ngong-Berge.«
»Der was?«
»Nicht sehr bekannt«, bemerkte er.
Sie war nicht literarisch, aber er mochte ihr Gesicht, das ein liebenswürdiges Wesen versprach.
»Ich fand den Vortrag – was haben Sie davon gehalten? –, ich fand den Vortrag ein wenig langweilig«, sagte er.
»Ich bin so froh, dass Sie das sagen. Ich bin fast eingeschlafen.«
»Kein unangenehmes Gefühl, in bestimmten Momenten zumindest. Kommen Sie oft hierher?«
»Nun, ja und nein. Ich komme für gewöhnlich und hoffe, jemand Interessantes kennenzulernen.«
»Da wären Sie in den meisten Bars besser aufgehoben.«
»Warum sind Sie dann in keiner?«, sagte sie.
Er ging mit ihr ein paar Tage später abends essen, am Ende erzählte er ihr Geschichten über Delovet, seine Yacht ohne Motor in Westport und seine frühere rumänische
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