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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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nicht auf Griechisch. Er liebte es, wenn sie nackt war, er liebte es auch, daran zu denken. Er war für den Moment frei von Begierde, aber nicht im weiteren Sinne.
    Draußen bestand der Tag aus unterschiedlicher Stille. Die Stunden waren zum Erliegen gekommen. Sie war schweigsam, dachte an irgendetwas, vielleicht an nichts. Sie konnte sich unmöglich ihrer Anziehungskraft bewusst sein. Er lag bei einer sanftgliedrigen Frau, die ihrem Mann gestohlen worden war. Sie gehörte jetzt ihm, sie durchlebten zusammen den Tag. Er war wie berauscht. Es passte zu dem Bild von ihm, der wagemutige Liebhaber, der er, wie er wusste, nicht war.
    Der Zug, mit dem Dena und ihr Sohn Leon nach Texas fuhren, um ihre Eltern zu besuchen, hielt nur in Dallas, und sie lebten in der Nähe von Austin, aber sie würden sie mit dem Auto abholen. Dena hatte Sehnsucht nach dem Land, und Leon war ganz aufgeregt bei dem Gedanken. In der dunklen unteren Ebene der Penn Station, wo die Züge ankamen und abfuhren, hallten sich überlappende Ankündigungen bevorstehender Abfahrten durch die Luft, gottgleich und unwiderruflich. Eddins blieb kurz stehen und fragte einen Träger nach dem richtigen Waggon, und ein paar Augenblicke später erreichten sie ihn und trugen zu dritt das Gepäck durch den Korridor zu ihrem Abteil, wo Eddins ihnen half, es zu verstauen, und noch auf ein paar Worte blieb. Es war keine Zeit mehr gewesen, sie zum Lunch auszuführen, wie er es geplant hatte. Leon wurde langsam nervös, der Zug würde gleich abfahren, sagte er. Er war so groß wie Dena, größer noch.
    Eddins sah auf die Uhr.
    »Wir haben noch drei oder vier Minuten«, sagte er.
    »Deine Uhr geht vielleicht falsch.«
    »Sag ihnen, es tut mir leid, dass ich nicht kommen konnte«, sagte er zu Dena. »Das nächste Mal, okay?«
    »Pass auf dich auf«, sagte sie.
    Er umarmte sie beide.
    »Gute Reise.«
    Draußen auf dem Bahnsteig stand er am Fenster und wartete. Vielleicht hörte er es oder auch nicht, aber im Abteil war eine Art Brummen zu spüren und dann das elektrische Zittern, als sich der Zug pünktlich auf die Minute in Bewegung setzte. Er winkte, und sie winkten zurück. Er warf ihnen einen Kuss zu und ging fünf oder zehn Schritt neben ihnen her, bis er ein wenig zurückfiel, als der Zug schneller wurde. Das Gesicht gegen die Scheibe gedrückt, winkte Dena ihm zum Abschied. Es war drei Uhr fünfundvierzig am Nachmittag. Sie wären am Morgen in Chicago, von dort würden sie den Texas Eagle nach Dallas nehmen. Es war ihre erste Reise nach Texas mit dem Zug. Sie waren sonst immer geflogen.
    Zuerst fuhren sie im Dunkeln unterhalb der Straßen, dann brachen sie ans Tageslicht, versenkt in einer Reihe von Betonschneisen, die sie zum Hudson brachten, der Zug schwankte geschmeidig, während er an Geschwindigkeit gewann. Weit vorne hörten sie das tiefe und vertraute Pfeifen der Zugmaschine. Wie dadurch angeregt, wurden sie noch schneller.
    Sie fuhren am Fluss entlang. Am anderen Ufer waren dunkle, grün bewachsene Granithänge. Es war ein bläulicher Tag, die Wolken auseinandergezogen wie Rauch. Die Bahnhöfe, um diese Tageszeit merkwürdig leer, eilten vorüber. Hastings, Dobbs Ferry. Bald darauf sahen sie in der Ferne ihre eigene Stadt Piermont, fast vollständig von Bäumen verdeckt.
    »Da ist es«, sagte Dena. »Das ist Piermont.«
    »Ich möchte unser Haus sehen.«
    »Ich glaub, ich seh es.«
    »Wo?«
    Sie versuchten, es auszumachen, aber es gab zu viel Laub, sogar über ihrer Straße, und Augenblicke später fuhren sie unter dem schattigen Stahl der Tappan-Zee-Brücke hindurch.
    Eine ganze Weile folgten sie dem trägen Fluss. Sie kamen nach Ossining, vorbei an Sing Sing, dem großen Gefängnis dort. Sie zeigte es ihm. Leon hatte davon gehört, sah es aber zum ersten Mal. Dort gab es Hinrichtungen, wusste er.
    Dann irgendwann trieben die Gleise landeinwärts, weg vom Fluss, durch baumbestandenes Marschland. Ein Bahnhof, Peekskill, blitzte vorbei. Dann, mit der Sonne hoch über den Hängen, die steilen, schweigenden Mauern von West Point, fast als wären sie Teil der Felsen. Sie sahen eine alte leere Burgruine auf einer kleinen Insel. Dann zwei Kinder, die sich dicht gegen die Felswand drückten, während der Zug vor ihrer Brust die Luft durchschnitt. Der Fluss wurde schmaler und war jetzt blau. Gänse flogen tief darüber, kraftvoll, frei, dicht über der Wasserfläche. Licht brach durch die Wolken, im Herzen darin die Sonne. Von weitem klang der scharfe Ton der

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