Alles, was ist: Roman (German Edition)
natürlich gewachsenen Skulptur, früher Teil eines Baums, der gefällt und in mehrere einen halben Meter lange Stücke zersägt worden war, von dem einer zufällig die Form eines weiblichen Körpers von der Taille bis zum Ansatz der Beine hatte, kräftig, eine Art primitive Altarplastik, neo-afrikanisch, gerundet, dunkel, unempfindlich gegen die Witterung – in diesem Haus, in dem Eddins, seine Frau und sein Sohn glücklich miteinander gelebt hatten, weit weg von jeder Gefahr, wo die Nachbarn gute Menschen waren und die Straßen ruhig, und die Polizei, die ihre bittere Fehde mit dem Bürgermeister endlich beigelegt hatte, einen mit Namen grüßte, hier, inmitten der Bäume und dörflichen Ruhe, wie etwas, das vom Himmel fiel, ein großer Motor, der sich von einem Flugzeug gelöst und ungesehen und ungehört durch die Luft nach unten stürzte, hatte der Tod eingeschlagen, die Vernichtung, hatte sich ins Leben gerammt wie ein gespitzter Speer.
Die Wege gehen auseinander. Eddins’ Leben war entzweigebrochen. Die Teile waren nicht gleich. Alles, was geschah und in Zukunft geschehen würde, war irgendwie leichter, ohne Konsequenz. Das Leben hatte eine Leere wie am Morgen danach. Er leugnete den Unfall. Er konnte sich kaum an die Beerdigung erinnern, außer dass sie unerträglich war. Sie wurden auf dem Friedhof in Upper Grandview oberhalb der Straße beigesetzt, in nebeneinanderliegenden Gräbern. Denas Mutter und Vater waren gekommen. Neil konnte ihnen kaum begegnen. Er konnte sich nicht von dem Gefühl der Schuld befreien. Er kam aus dem Süden, er war aufgezogen worden, Frauen zu ehren und sie zu beschützen, sie zu verteidigen. Es war seine Pflicht. Wäre er in dem Zug gewesen, wäre das irgendwie nicht passiert. Er hatte sie im Stich gelassen, wie der Philosophieprofessor in Valley Cottage, der in seinem Haus überfallen worden war, er und seine alternde Frau. Er war danach nie wieder derselbe. Es waren nicht die Verletzungen, die sie davongetragen hatten, auch nicht die bleibende Angst, es war die Scham, die er fühlte. Er war nicht fähig gewesen, seine Frau zu beschützen.
Eddins schien in vielerlei Hinsicht unverändert, etwas beiläufiger vielleicht, aber sonst wie immer. Er hatte eine Blume im Knopfloch, eine Boutonnière, er redete, machte Witze, aber es gab Dinge, die man nicht sah. Er hatte sie im Stich gelassen. Er war gezeichnet.
Eine Weile blieb er in dem Haus wohnen, aber er kam am Abend nicht gerne zurück, in die Leere und, wie ihm schien, das Wissen der Welt, dass er dort alleine war. Er mietete sich ein kleines Apartment in der Stadt südlich von Gramercy Park, wo er am Abend die Nachrichten sah und sich einen Drink genehmigte, manchmal auch einen zweiten oder dritten, und entschied, nicht für sich zu kochen, so einfach es auch war. Er war nicht depressiv, aber er lebte mit einem Gefühl der Ungerechtigkeit. Es gab Momente, da er angesichts seiner Einsamkeit und dessen, was er verloren hatte, fast in Tränen ausbrach. Er sah sie jetzt als das, was sie waren, was sie immer waren, die großen Tage der Liebe. Sie hatte um so wenig gebeten, so wenig verlangt. Sie hatte sich vollständig verschenkt, ihre ganze Liebe, ihr unglaubliches Lächeln, ihre Zähne, ihre leichtherzige, übermütige Art. Ich liebe dich so sehr – wer konnte das sagen mit der überwältigenden Wahrheit unzähliger Liebesbezeugungen dahinter. Er hatte nicht alles getan, was er hätte tun können, er hätte mehr geben sollen. Jetzt würde ich es geben, dachte er und sagte es laut, wie viel würde ich geben! Ah, Jesus, sagte er und stand auf, um sein Glas zu füllen. Werd nicht zum Trinker, dachte er. Werde nicht zu einer bemitleidenswerten Kreatur.
Bowman nahm den anderen. Ohne Frau oder Freundin hatte er sich scheinbar für ein Leben allein entschieden, ein Leben der Gewohnheiten, nicht einmal unbequem, man sah ihn in dunkelblauen Anzügen in Restaurants und auf Lesungen, nach außen hin eins mit sich und der Welt, vertraut.
Es stellte sich heraus, dass es anders war.
Er lebte noch nicht ganz mit Christine zusammen, sie war dagegen gewesen, bis ihr Leben, wie sie sagte, ein wenig mehr im Tritt war. Sie verbrachte weiterhin zwei- oder dreimal die Woche die Nacht bei ihm im Apartment. Sie traf ihn am Abend, manchmal mit einem Strauß Blumen im Arm oder einem Modejournal, die europäische Ausgabe mit dem Hauch vom Glamour des Lebens dort.
Sie waren nicht verheiratet, sie genossen die Freuden schuldloser Liebe. Es war nicht
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