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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Genuss, mit ihr dort zu sitzen, sie beide zusammen.
    Das Meer war an dem Abend schon von weitem zu hören. Das Geräusch der Wellen war gleichmäßig und endlos. Sie gingen, um es sich anzusehen. Es war nach elf, und der Strand war vollkommen leer, nicht ein Licht brannte in den nahe gelegenen Häusern. Das Wasser war schwarz, es stieg auf, und dann, mit einem Grollen, zeigte es seine Zähne. Sie standen am Ufer und sahen ihm zu. Er war leicht betrunken. Christine hatte die Arme um sich gelegt.
    »Hast du Lust, schwimmen zu gehen?«, fragte er halbernst.
    »Nein. Ich bestimmt nicht.«
    Ihn überkam eine plötzliche Lust, ein wilder Übermut, das Bild vom Meer in Tahiti, heißblütige Matrosen, die von den Schiffen sprangen, das Meer vor Oahu oder der kalifornischen Küste bei aufziehendem Sturm. Leander hatte den Hellespont durchschwommen.
    »Es wäre wunderbar«, sagte er. »Komm, lass uns reingehen.«
    »Bist du verrückt?«
    Er war im Rausch, auch ein wenig prahlerisch. Er war abends schon öfter schwimmen gewesen, aber nicht in diesen Brechern. Die großen Wellen hoben sich in einem steten Rhythmus, langsam, bis zum höchsten Grat, dann stürzten sie herab. Er bückte sich, um sich die Schuhe auszuziehen.
    »Du gehst doch nicht wirklich rein?«
    »Nur kurz.«
    Er zog sich Hemd und Hose aus. Sie stand ungläubig neben ihm.
    »Ich schau nur, wie kalt es ist.«
    Er war sich der Unwirklichkeit seines Tuns bewusst, der Waghalsigkeit, aber da stand er in kurzen Hosen in der Nacht am Meeresrand. Umkehren war nicht mehr möglich.
    »Philip«, sagte sie. »Nicht.«
    »Ist schon gut. Mir passiert schon nichts.«
    »Nein!«
    Der erste Schwall Wasser um seine Knöchel war nicht so kalt, wie er erwartet hatte. Während er sich vorwärts bewegte, kam eine Welle auf ihn zu, und das Wasser stieg ihm bis zur Taille. Plötzlich ragte eine Welle vor ihm auf, er tauchte in das steile schwarze Wasser und kam vor der nächsten wieder hoch, die kurz vorm Brechen war. Er tauchte wieder und kam etwas weiter draußen nach oben. Hier stiegen die hereinkommenden Wellen auf. Es war tiefer. Der Boden war verschwunden, seine Füße berührten ihn nicht mehr. Er kämpfte gegen eine leichte Panik. Er hob und senkte sich mit der Dünung, die Wellen donnerten auf ihn zu. Er versuchte, ihren Rhythmus zu spüren. Eine Woge hob ihn nach oben, und er sah zum Ufer. Er konnte sie nicht sehen. Die Wellen kamen in Gruppen von fünf oder sechs, er konnte es nicht sagen. Er musste warten, bis das Meer etwas ruhiger wurde, was vielleicht nicht passieren würde, wie er fürchtete. Er schwamm und versuchte seinen Atem zu beruhigen. Plötzlich machte sein Herz einen Satz. Etwas war dort im Dunkeln! Es war der Kopf eines Schwimmers. Christine.
    »Was macht du hier?«, rief er.
    Es machte ihm Angst, sie dort draußen zu sehen. Er hatte allein schon Schwierigkeiten.
    »Kommst du hier auf den Boden?«, sagte sie.
    »Nein«, sagte er. »Weißt du, wie wir zurückkommen?«
    »Nein.«
    »Bleib dicht neben mir! Vorsicht! Da kommt eine! Du musst tauchen!«
    Sie kamen zusammen wieder hoch. Ihr Gesicht wirkte weiß und angstvoll.
    »Wenn die Welle kommt und dich hebt, kurz bevor sie bricht, musst du schwimmen, wie du nur kannst, dich nach vorne strecken wie ein Messer.«
    Sie stiegen empor.
    »Jetzt!«, rief er.
    Sie begannen zu schwimmen, aber die Welle brach zu weit vorne. Dann kam die nächste. Sie waren zu spät, die Welle brach unter ihnen weg. Sie verschwanden in der Brandung, kamen aber rechtzeitig wieder hoch, um durch die nächste Welle hindurchzutauchen. Sie waren näher am Ufer.
    »Jetzt!«, rief er wieder. »Los!«
    Sie versuchte, bis zur Taille im Wasser, ans Ufer zu rennen, wurde aber nach hinten gezogen und fiel im Strudel der Welle, die über ihr hereinströmte. Sie kam wieder auf die Beine und stolperte ans Ufer. Er war direkt hinter ihr.
    »Oh mein Gott«, sagte sie.
    Sie stand zitternd da, die Arme um sich geschlungen.
    »Das war schon was«, sagte er.
    »Ja.« Es fiel ihr schwer zu reden.
    Eine Welle umspülte ihre Füße. Er nahm sie in die Arme. Er spürte, wie sich ihre Brust beim Atmen hob. Er bewunderte sie ungeheuer.
    »Warum hast du das gemacht?«
    »Ich weiß nicht. Aus Liebeswahn.«
    »Hast du das noch nie gemacht?«
    »Nicht bei solchen Wellen.«
    Sie gingen zurück zum Haus. Erschöpft, aber ruhmreich. Sie saß da, den Bademantel um sich gezogen.
    »Ist dir kalt?«
    »Ein bisschen.«
    »Willst du etwas trinken?«
    »Nein.«
    »Bist du

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