Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Aufgaben des Hauses übertragen zu bekommen, wie Holz zu hacken oder Yams zu zerstoßen. Überbrachte ihm ein jüngerer Bruder oder eine kleine Schwester eine entsprechende Aufforderung, tat Nwoye ärgerlich und maulte laut über die Frauen und ihre Belange.
Okonkwo freute sich insgeheim über die Entwicklung seines Sohns, und er wusste wohl, dass sie Ikemefuna zu verdanken war. Er wollte Nwoye zu einem tüchtigen jungen Mann heranwachsen sehen, der imstande wäre, den Haushalt des Vaters zu führen, wenn er selbst tot und zu den Ahnen gegangen sein würde. Er sollte ein gutes Fortkommen haben, einen so gut gefüllten Speicher, dass er den Ahnen regelmäßig opfern konnte. Daher gefiel es ihm, wenn er Nwoye über die Frauen schimpfen hörte. Es bewies, dass er imstande sein würde, seine Frauen zu bändigen. Denn ganz gleich, zu wie viel Wohlstand ein Mann es brachte, wenn er nicht fähig war, seine Frauen und Kinder (aber besonders die Frauen) im Zaum zu halten, war er kein richtiger Mann. Dann glich er dem Mann in dem Lied, der zehn und eine Frauen hatte, aber nicht genug Suppe zu seinem Fufu.
Deshalb ermutigte Okonkwo die Jungen, Zeit mit ihm im obi zu verbringen, und er erzählte ihnen die Geschichten des Landes – männliche Geschichten von Gewalt und Blutvergießen. Nwoye wusste, dass es richtig war, männlich zu sein und gewaltbereit, aber irgendwie zog er dennoch die Geschichten vor, die ihm seine Mutter einst erzählt hatte und die sie den kleineren Kindern sicher noch immer erzählte – vom Schildkrötenmann und seiner listigen Art, vom Vogel eneke-nti-oba [75] , der alle Welt zum Ringkampf aufforderte und schließlich von der Katze besiegt wurde. Er erinnerte sich an die oft erzählte Geschichte vom lange zurückliegenden Streit zwischen Himmel und Erde, der den Himmel veranlasst hatte, sieben Jahre seinen Regen zurückzuhalten, bis alle Ernten verdörrten und die Toten nicht mehr bestattet werden konnten, weil die Hacken auf der steinernen Erde brachen. Schließlich wurde der Geier als Bote zum Himmel geschickt, um mit einem Lied über das Leid der Söhne der Menschen dessen Herz zu erweichen. Wenn Nwoyes Mutter dann dieses Lied sang, fühlte er sich fortgetragen zum fernen Schauplatz im Himmel, wo der Geier als Bote der Erde um Gnade sang. Letzten Endes ließ sich der Himmel erweichen, und er gab dem Geier den in Taroblätter gewickelten Regen mit. Doch auf dem Heimflug durchbohrten die langen Krallen des Geiers die Blätter, und der Regen fiel wie nie zuvor. Es regnete so sehr auf den Geier, dass er mit seiner Botschaft nicht zurückkehrte, sondern in ein fernes Land flog, in dem er ein Feuer erspähte. Dort traf er auf einen Mann, der opferte. Der Geier wärmte sich am Feuer und weidete sich am Gekröse [76] .
Das waren die Geschichten, die Nwoye liebte. Aber er wusste jetzt, dass sie für dumme Frauen und Kinder waren, und er wusste, dass sein Vater aus ihm einen Mann machen wollte. Also tat er so, als interessiere er sich nicht länger für Weibergeschichten. Denn wenn er so tat, schien sein Vater erfreut, und er wurde nicht mehr zurechtgewiesen oder geschlagen. Und so lauschten Nwoye und Ikemefuna Okonkwos Geschichten von Stammeskriegen oder davon, wie er selbst vor vielen Jahren sich an sein Opfer herangepirscht, es überwältigt und so seinen ersten Menschenkopf ergattert hatte. Während Okonkwo von der Vergangenheit sprach, saßen sie im Dunkeln oder im schwachen Schein der Glut und warteten, dass die Frauen mit dem Kochen fertig würden. Wenn es so weit war, brachte jede ihre Schale mit Fufu und ihren Topf Suppe zu ihrem Mann. Dann wurde eine Öllampe entzündet, Okonkwo kostete von jeder Schale und reichte dann zwei der Portionen an Nwoye und Ikemefuna weiter.
So vergingen die Monde und Jahreszeiten. Bis die Heuschrecken kamen. Das war seit vielen, vielen Jahren nicht mehr geschehen. Die Ältesten sagten, die Heuschrecken kämen in jeder Generation nur einmal, dann verschwänden sie wieder für ein ganzes Lebensalter. Sie kehrten in ihre Höhlen in einem fernen Land zurück, wo sie von einem kurzgewachsenen Menschenstamm bewacht würden. Erst nach einer weiteren Lebensspanne öffneten diese Leute die Höhlen erneut, und dann kämen die Heuschrecken nach Umuofia.
Sie kamen immer in der kalten Harmattanzeit, wenn die Ernten eingebracht waren, und fraßen alles Wildgras von den Feldern.
Okonkwo und die zwei Jungen arbeiteten gerade an den roten Außenmauern der Hofanlage. Das war
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