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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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anderntags nach Hause gebracht. Nwoye hörte es und brach in Tränen aus, woraufhin ihn sein Vater sehr schlug. Ikemefuna selbst aber wusste nicht recht, wie ihm geschah. Die Heimat war in große Ferne gerückt. Zwar fehlten ihm Mutter und Schwester nach wie vor, und es würde ihn freuen, sie zu sehen. Doch irgendwie wusste er, dass er sie nicht sehen würde. Er erinnerte sich an eine andere gedämpfte Unterredung von Männern mit seinem Vater; es schien sich alles zu wiederholen.
    Später ging Nwoye zur Hütte seiner Mutter und sagte ihr, dass Ikemefuna in sein Dorf zurückkehren werde. Ihr fiel der Stößel aus der Hand, mit dem sie Pfeffer zerrieb, sie verschränkte die Arme vor der Brust und seufzte. »Das arme Kind.«
    Am Tag darauf kehrten die Männer mit einem Krug Wein wieder. Alle waren gekleidet, als brächen sie zu einem großen Klantreffen oder zu einem offiziellen Besuch in einem Nachbardorf auf. Sie hatten die Tücher unter der rechten Achsel durchgeführt, sich ihre Ziegenlederbeutel und die Scheiden mit ihren Kampfmessern umgehängt. Okonkwo machte sich rasch bereit, und dann brach die kleine Schar mit Ikemefuna auf, der den Weinkrug trug. Eine tödliche Stille senkte sich über Okonkwos Hof. Selbst die ganz kleinen Kinder schienen Bescheid zu wissen. Den ganzen Tag saß Nwoye mit Tränen in den Augen in der Hütte seiner Mutter.
    Zu Beginn ihres Marschs schwatzten und lachten die Männer Umuofias über die Heuschrecken, ihre Frauen und über gewisse weibische Kerle, die sich geweigert hatten, mitzugehen. Doch als sie die äußersten Bezirke Umuofias erreichten, befiel auch sie das Schweigen.
    Die Sonne stieg langsam in die Mitte des Himmels, der trockene, sandige Pfad begann die gespeicherte Hitze abzustrahlen. In den umliegenden Wäldern zwitscherten die Vögel. Die Männer traten unterwegs auf trockenes Laub. Sonst herrschte Stille. Dann wehten von weither die dumpfen Trommelschläge der ekwe heran. Sie stiegen und schwanden im Wind – ein friedlicher Tanz in einem fernen Klan.
    »Ein ozo -Tanz [78]   «, befanden die Männer. Nur war sich keiner sicher, aus welcher Richtung das Trommeln kam. Die einen meinten aus Ezimili, die anderen aus Abame oder Aninta. Darüber stritten sie eine Weile, dann schwiegen sie wieder, und der ferne Tanz stieg und fiel im Wind. Irgendwo erwarb ein Mann einen der Titel seines Klans, es wurde Musik gemacht, es wurde getanzt und gegessen.
    Aus dem Pfad war jetzt eine schmale Spur tief im Wald geworden. Gesträuch und Unterholz an der Dorfgrenze wichen nun den Baumriesen und Lianen, die wahrscheinlich seit Beginn aller Dinge hier standen, unberührt von Axt und Buschfeuer. Die Sonne brach durch das Blätterdach, und die Äste malten ein Muster aus Licht und Schatten auf die sandige Spur.
    Ikemefuna hörte jemanden in seinem Rücken flüstern und fuhr herum. Der Mann, der geflüstert hatte, rief nun den anderen laut zu, sie möchten sich beeilen.
    »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns«, sagte er. Er und ein anderer drängten sich an Ikemefuna vorbei und beschleunigten ihren Schritt.
    So zogen die Männer Umuofias ihres Weges, bewaffnet mit den Kampfmessern in ihren Scheiden, und Ikefuma, den Weinkrug auf dem Kopf, ging in ihrer Mitte. Obwohl ihm zunächst unbehaglich gewesen war, fürchtete er sich jetzt nicht mehr. Hinter ihm ging Okonkwo. Er konnte sich kaum noch vorstellen, dass Okonkwo nicht sein richtiger Vater war. Er war seinem eigenen Vater nie sehr zugetan gewesen, und nach drei Jahren schien ihm dieser sehr fern. Aber die Mutter und seine dreijährige Schwester … das heißt, natürlich war sie jetzt keine drei mehr, sondern sechs. Würde er sie wiedererkennen? Sie musste inzwischen recht groß sein. Wie seine Mutter vor Freude weinen und Okonkwo danken würde, dass er so gut für ihn gesorgt hatte und ihn nun wiederbrachte. Sie würde von allem hören wollen, was er in den langen Jahren erlebt hatte. Könnte er sich an alles erinnern? Er würde ihr von Nwoye und dessen Mutter erzählen, und von den Heuschrecken … Dann plötzlich fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf. Seine Mutter konnte tot sein. Vergeblich versuchte er, den Gedanken zu verscheuchen. Schließlich verlegte er sich auf das Spiel, mit dem er einst als kleiner Junge in solchen Sachen entschieden hatte. Das Lied kannte er noch:
    Eze elina, elina!
        Sala
    Eze ilikwa ya
    Ikwaba akwa oligholi
    Ebe Danda nechi eze
    Ebe Uzuzu nete egwu
        Sala [79]  
    Er sang es stumm

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