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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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vor sich hin und ging im Takt. Wenn das Lied auf dem rechten Fuß endete, war seine Mutter am Leben. Wenn es links endete, war sie tot. Nein, nicht tot, krank. Es endete rechts. Sie lebte und war wohlauf. Er sang noch einmal, und das Lied endete links. Doch das zweite Mal zählte nicht. Die erste Stimme erreicht Chukwu [80]   , das Haus Gottes. Das war ein bei Kindern beliebter Spruch. Ikemefuna kam sich wieder vor wie ein Kind. Das lag sicher daran, dass er auf dem Weg nach Hause zu seiner Mutter war.
    Hinter ihm räusperte sich einer der Männer. Ikemefuna blickte zurück, doch der Mann knurrte ihn an, er solle weitergehen und sich nicht umsehen. Der Ton seiner Worte jagte Ikemefuna kalte Schauer über den Rücken. Seine Hände zitterten leicht am schwarzen Krug auf seinem Kopf. Warum hatte sich Okonkwo ganz nach hinten zurückgezogen? Ikemefuna bekam weiche Knie. Er traute sich nicht, zurückzusehen.
    Als der Mann, der sich geräuspert hatte, aufschloss und sein Kampfmesser hob, wandte Okonkwo den Blick ab. Er hörte den Schlag. Der Krug fiel und zerbrach im Sand. Er hörte Ikemefuna mit dem Schrei »Mein Vater, sie töten mich!« auf sich zustürzen. Blind vor Angst zückte Okonkwo sein Kampfmesser und streckte ihn nieder. Er hatte Angst, für schwach gehalten zu werden.

    Sobald sein Vater am Abend eintraf, wusste Nwoye, dass Ikemefuna getötet worden war, und in ihm gab etwas nach, als wäre ein überspannter Bogen geknickt. Er weinte nicht. Er sackte in sich zusammen. Vor gar nicht langer Zeit hatte er etwas ganz Ähnliches empfunden, es war während der Ernte gewesen. Alle Kinder liebten die Erntezeit. Die, die groß genug waren, auch nur ein paar wenige Yams in ihrem kleinen Korb zu schleppen, zogen mit den Erwachsenen aufs Feld. Und wenn sie nicht beim Ausgraben der Yams helfen konnten, so konnten sie doch Feuerholz für jene sammeln, die gleich dort auf dem Feld geröstet werden würden. Geröstete, in rotes Palmöl getunkte und auf dem offenen Feld gegessene Yams waren besser als jedes Mahl zu Hause. Und an einem solchen Tag auf dem Feld am Ende der Erntezeit war in Nwoye das erste Mal, wie jetzt, etwas zerbrochen. Sie waren mit ihren Körben voller Yams von einem entlegenen Feld auf der anderen Seite des Flusses auf dem Heimweg gewesen, als sie im Busch einen Säugling wimmern hörten. Die Frauen, die eben noch geschwatzt hatten, verstummten und beschleunigten ihre Schritte. Nwoye hatte davon gehört, dass man Zwillinge in Tonschüsseln legte und fortbrachte in den Busch, aber er hatte es noch nie selbst erlebt. Ihn fröstelte, und ihm war, als schwelle sein Kopf an, so wie es dem einsamen Nachtwanderer geht, dem ein böser Geist begegnet. Damals war in seinem Innern etwas weggesackt. Jetzt, als sein Vater am Abend nach der Ermordung Ikemefunas eintraf, überkam ihn dieses Gefühl erneut.

Achtes Kapitel
    Nach dem Tod Ikemefunas nahm Okonkwo zwei Tage nichts zu sich. Er trank von morgens bis abends Palmwein, seine Augen waren rot und wild wie die einer Ratte, die man am Schwanz gepackt und auf die Erde geschlagen hat. Er rief seinen Sohn Nwoye zu sich ins obi . Doch dem Jungen graute vor ihm, und sobald er sah, dass Okonkwo einnickte, stahl er sich aus der Hütte davon.
    Okonkwo schlief nachts nicht. Er gab sich alle Mühe, nicht an Ikemefuna zu denken, aber je mehr Mühe er sich gab, desto mehr musste er an ihn denken. Einmal stand er von seinem Lager auf und wandelte auf dem Hof herum. Doch er war so schwach, dass seine Beine ihn kaum trugen. Er kam sich vor wie ein trunkener Riese auf den Beinen einer Mücke. Dann und wann rieselte es ihm kalt über den Kopf und durch den ganzen Körper.
    Am dritten Tag bat er seine zweite Frau Ekwefi, ihm Bananen zu braten. Sie bereitete sie auf die Art zu, die ihm die liebste war – mit zerschnittenen Ölbohnen [81]   und Fisch.
    »Du hast zwei Tage nicht gegessen«, sagte seine Tochter Ezinma, als sie ihm die Speise brachte. »Du musst alles aufessen.« Sie setzte sich mit ausgestreckten Beinen zu ihm. Okonkwo aß geistesabwesend. ›Sie hätte ein Junge sein sollen‹, dachte er beim Anblick seiner zehnjährigen Tochter. Er reichte ihr ein Stück Fisch.
    »Geh und hole mir kaltes Wasser«, sagte er. Ihren Fisch kauend, lief Ezinma los und kehrte bald mit einer Schale kühlen Wassers aus dem Tonkrug in der Hütte ihrer Mutter wieder. Okonkwo nahm die Schale entgegen und trank hastig. Dann aß er noch ein paar Bissen Banane und schob das Mahl beiseite.
    »Hol

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