Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Zeit sehr gut. Vielleicht wird sie mir bleiben [69] .«
»Ich glaube, das wird sie. Wie alt ist sie jetzt?«
»Sie ist etwa zehn.«
»Ich denke, sie wird bleiben. In der Regel bleiben sie, wenn sie nicht vor dem sechsten Lebensjahr sterben.«
»Ich bete, dass es so sein möge«, sagte Ekwefi mit einem schweren Seufzen.
Die Frau, mit der sie sprach, hieß Chielo. Sie war die Priesterin Agbalas, des Orakels der Hügel und Höhlen. Im täglichen Leben war Chielo eine Witwe mit zwei Kindern. Sie war mit Ekwefi befreundet, die beiden teilten sich einen Stand auf dem Markt. Chielo war Ekwefis einziger Tochter Ezinma sehr zugetan, sie nannte sie »meine Tochter«. Recht oft kaufte sie Bohnenküchlein [70] und gab Ekwefi einige für Ezinma mit. Niemand, der Chielo im Alltag erlebte, hätte ihr die Rolle der Seherin zugetraut, die sie einnahm, wenn der Geist Agbalas über sie kam.
Jetzt packten die Trommler wieder ihre Stöcke, die Luft erzitterte und straffte sich, als würde ein Bogen gespannt.
Auf dem Platz traten sich nun die beiden Mannschaften in zwei Reihen entgegen. Es tänzelte jeweils ein junger Mann der einen Mannschaft auf die Gegenseite zu und deutete auf den, gegen den er antreten wollte. Dann tanzten beide miteinander in die Mitte und griffen an.
Es gab auf jeder Seite zwölf Männer, sie wechselten sich als Herausforderer ab. Zwei Richter umkreisten die Ringer, und wenn sie beide für gleich stark erachteten, brachen sie den Kampf ab. Fünf der Begegnungen endeten in dieser Weise. Doch die wahrhaft aufregenden Momente waren die, wenn ein Mann umgeworfen wurde. Dann stieg die gewaltige Stimme der Menge in den Himmel und in alle Richtungen. Sie war dann selbst in den benachbarten Dörfern zu hören.
Zuletzt traten die Anführer der beiden Mannschaften gegeneinander an. Sie gehörten zu den besten Ringern aller neun Dörfer. Die Zuschauer warteten gespannt darauf, wer in diesem Jahr den anderen bezwingen würde. Die einen meinten, Okafo sei der Bessere, die anderen fanden, er reiche an Ikezue [71] nicht heran. Im vergangenen Jahr hatte keiner den anderen umwerfen können, obwohl die Richter den Kampf länger dauern ließen als üblich. Sie kämpften beide auf dieselbe Art, und so erkannte jeder schon im Voraus die Absicht des Gegners. Ebenso würde es vielleicht auch in diesem Jahr sein.
Ikezue hielt die Rechte hin. Okafo packte sie, dann umschlangen sie sich. Es war ein harter Kampf. Ikezue suchte im wendigen ege -Stil [72] seine Ferse hinter Okafo in den Boden zu graben, um ihn rücklings zu Fall zu bringen. Doch der eine kannte die Gedanken des anderen. Die Menge war vorgerückt und hatte die Trommler verschluckt, deren wilde Rhythmen längst nicht mehr Klangkulisse waren, sondern Herzschlag des Dorfs.
Die Ringer verharrten nun fast reglos in ihrer Umklammerung. Die an Armen und Schenkeln und Rücken schwellenden Muskeln zuckten. Es schien ein ausgeglichener Kampf. Die zwei Richter traten schon vor, um die beiden zu trennen, als Ikezue in letzter Verzweiflung rasch das Knie beugte, um seinen Gegner rückwärts über seinen Kopf zu werfen. Es war eine bittere Fehleinschätzung. Schnell wie der Blitz des Amadiora hob Okafo das rechte Bein und schwang es über den Kopf seines Gegners hinweg [73] . Ein Brausen stieg auf. Okafo wurde von seinen Bewunderern hochgerissen und im Triumph schulterhoch nach Hause getragen. Man sang sein Lob, und die jungen Frauen klatschten:
Wer wird für unser Dorf ringen?
Okafo wird für unser Dorf ringen.
Hat er hundert Männer umgeworfen?
Er hat vierhundert Männer umgeworfen.
Hat er hundert Katzen umgeworfen?
Er hat vierhundert Katzen umgeworfen.
Dann schickt nach ihm, dass er für uns kämpft [74] .
Siebtes Kapitel
Drei Jahre lebte Ikemefuna im Haushalt Okonkwos, und die Ältesten Umuofias schienen ihn vergessen zu haben. Er schoss auf wie die Blattranken der Yams in der Regenzeit und strotzte vor Lebenskraft. Er war eins mit seiner neuen Familie. Nwoye war er ein älterer Bruder, vom ersten Augenblick an hatte er in dem Jüngeren neues Feuer entfacht. Er gab ihm das Gefühl, erwachsen zu sein, und sie verbrachten die Abende nicht mehr in der Hütte seiner Mutter, während sie kochte, sondern saßen nun bei Okonkwo im obi oder sahen zu, wie er von seiner Ölpalme den Saft für den Abendwein zapfte. Nichts freute Nwoye jetzt mehr, als von seiner Mutter oder einer der anderen Frauen seines Vaters eine der schwierigen und männlichen
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