Alles zerfällt: Roman (German Edition)
für ihn tabu war, aber gern bereit war, die Zähne zu benutzen.«
»Ich halte es für gut, dass unser Klan den ozo -Titel hochhält«, befand Okonkwo. »In den anderen Klans, von denen du sprichst, wird ozo so geringgeschätzt, dass jeder Bettler den Titel erwirbt.«
»Ich scherze«, sagte Obierika. »In Abame und Aninta ist der Titel keine zwei Kauri wert. Jedermann trägt den Reif um den Knöchel und verliert ihn selbst dann nicht, wenn er stiehlt.«
»Sie ziehen ozo wahrhaftig in den Dreck«, sagte Okonkwo und erhob sich.
»Ich erwarte schon bald meine Verwandten«, bemerkte Obierika.
»Ich komme gleich wieder«, sagte Okonkwo und sah nach dem Sonnenstand [86] .
Sieben Männer saßen in Obierikas Hütte, als Okonkwo wiederkehrte. Der Freier war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, begleitet wurde er von seinem Vater und seinem Onkel. Aus Obierikas Familie waren zwei ältere Brüder und Maduka zugegen, sein sechzehnjähriger Sohn.
»Bitte Akuekes [87] Mutter, uns Kolanüsse bringen zu lassen«, befahl Obierika seinem Sohn. Wie der Blitz entschwand Maduka über den Hof. Woraufhin man zunächst über ihn sprach und alle sich einig waren, dass der Junge Feuer hatte.
»Manchmal denke ich, zu viel Feuer«, räumte Obierika nachsichtig ein. »Man sieht ihn selten schlendern. Immer hat er es eilig. Schickt man ihn auf einen Botengang, fliegt er davon, ehe er den Auftrag überhaupt zur Hälfte gehört hat.«
»Du warst selbst ähnlich«, bemerkte sein ältester Bruder. »Sagt man bei uns nicht: ›Wenn die Kuhmutter Gras kaut, schauen ihr die Jungen aufs Maul‹? Maduka hat dir aufs Maul geschaut.«
Noch während er sprach, kehrte der Junge wieder, gefolgt von Akueke, seiner Halbschwester, die eine Holzschale mit drei Kolanüssen und Mbongo-Pfeffer bei sich trug. Die Schale reichte sie dem ältesten Bruder ihres Vaters, dann gab sie, sehr scheu, ihrem Freier und seinen Verwandten die Hand. Akueke war etwa sechzehn und eben heiratsfähig. Ihr Freier und seine Verwandten begutachteten ihren jungen Körper mit Kennerblick, als wollten sie sich ihrer Reife und ihrer Vorzüge vergewissern.
Sie trug das Haar über dem Scheitel zu einem Kamm frisiert. Man hatte ihr Cambalholz in die Haut gerieben und den ganzen Körper schwarz mit uli [88] verziert. Ihren Hals schmückte eine schwarze Kette, die dreifach geschlungen knapp über den prallen, üppigen Brüsten endete. An ihren Armen hingen rote und gelbe Reife und um die Taille ein vier- bis fünfsträngiger jigida [89] .
Nachdem sie alle Hände geschüttelt hatte – oder vielmehr die eigene Hand gereicht, damit sie geschüttelt werde, kehrte sie in die Hütte ihrer Mutter zurück, um beim Kochen zu helfen.
»Lege zuerst den jigida ab«, mahnte ihre Mutter, als das Mädchen den Stößel von seinem Platz an der Wand zum Feuer brachte. »Täglich sage ich dir, dass der jigida und das Feuer keine Freunde sind. Aber du willst nicht hören. Dir sind die Ohren als Schmuck gewachsen, nichts sonst. Eines Tages steht dein jigida in Flammen, dann wirst du verstehen.«
Akueke entfernte sich ans andere Ende der Hütte und knüpfte den Perlgürtel auf. Das musste langsam und mit Bedacht geschehen, einen Strang um den anderen, damit keiner brach und Tausende winziger Ringe neu aufgezogen werden mussten. Jeden Strang schob sie mit den Handflächen hinab, bis er über die Gesäßbacken und um ihre Füße zu Boden glitt.
Die Männer im obi widmeten sich indessen dem Palmwein, den Akuekes Freier mitgebracht hatte. Es war sehr guter Palmwein und stark, denn trotz der Palmfrucht, die über die Öffnung des Krugs gelegt worden war, um den perlenden Wein zurückzuhalten, stieg weißer Schaum auf und quoll über.
»Der Wein ist das Werk eines guten Zapfers«, bemerkte Okonkwo.
Der junge Freier mit den Namen Ibe [90] grinste breit und sagte zu seinem Vater: »Hast du gehört?« Und die anderen ließ er wissen: »Er will nicht zugeben, dass ich gut zapfe.«
»Er hat drei meiner besten Palmen totgezapft«, meinte dazu sein Vater Ukegbu.
»Das ist fünf Jahre her«, sagte Ibe, der den Wein ausschenkte. »Da verstand ich noch nicht viel vom Zapfen.« Er füllte das erste Horn und reichte es seinem Vater. Dann schenkte er den anderen ein. Okonkwo holte sein großes Horn aus dem Ziegenlederbeutel hervor, blies hinein, um allen Dreck zu entfernen, der sich gesammelt hatte, und gab es Ibe.
Die Männer tranken und sprachen über alles außer über die Sache,
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