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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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alle Blut scheuen, würde es nicht vollbracht. Was glaubst du, was das Orakel dann täte?«
    »Du weißt ganz genau, dass ich kein Blut scheue, Okonkwo; wer etwas anderes behauptet, lügt. Und eines will ich dir sagen, mein Freund. Ich an deiner Stelle wäre zu Hause geblieben. Was du getan hast, wird der Erde missfallen. Zur Strafe für eine solche Tat löscht die Gottheit gern ganze Familien aus.«
    »Wie soll mich die Erde dafür bestrafen, dass ich ihrem Boten gehorche«, sagte Okonkwo. »Das Kind verbrennt sich die Finger nicht am heißen Yams, das seine Mutter ihm reicht.«
    »Das ist wohl wahr«, sagte Obierika. »Doch wenn das Orakel den Tod meines Sohnes verlangte, würde ich mich weder widersetzen noch die Tat vollbringen.«
    Sie hätten weitergestritten, wäre nicht in diesem Moment Ofoedu [83]   dazugekommen. Seinen blitzenden Augen zufolge brachte er wichtige Neuigkeiten. Nur wäre es unhöflich, ihn zu bedrängen. Obierika bot ihm eine Kolanuss aus der Frucht an, die er mit Okonkwo gebrochen hatte. Ofoedu kaute und sprach von den Heuschrecken. Als er seine Kolanuss gegessen hatte, sagte er nur: »Es geschehen seltsame Dinge in diesen Zeiten.«
    »Was ist denn geschehen?«, fragte Okonkwo.
    »Ihr kennt doch Ogbuefi Ndulue?«, fragte Ofoedu zurück.
    »Ogbuefi Ndulue aus dem Dorf Ire«, meinten Okonkwo und Obierika wie aus einem Munde.
    »Er ist heute Morgen verschieden«, sagte Ofoedu.
    »Daran ist aber nichts wirklich seltsam. Er war der älteste Mann im Dorf«, sagte Obierika.
    »Das stimmt«, sagte Ofoedu. »Aber fragst du dich nicht, weshalb die Trommel Ires Umuofia seinen Tod nicht verkündet?«
    »Und weshalb tut sie es nicht?«, fragten Obierika und Okonkwo wie aus einem Munde.
    »Das ist eben das Seltsame daran. Ihr kennt doch seine erste Frau – die, die am Stock geht?«
    »Ja. Du meinst Ozoemena [84]   .«
    »So ist es«, sagte Ofoedu. »Ozoemena war, wie ihr wisst, zu betagt, um den kranken Ndulue zu pflegen. Das taten seine jüngeren Frauen. Als er heute Morgen starb, ging eine dieser Frauen zur Hütte Ozoemenas und sagte es ihr. Da erhob sie sich von ihrer Matte, nahm ihren Stock und ging zum obi . Sie ließ sich an der Schwelle auf alle viere nieder und rief ihren Mann, der auf eine Matte gebettet war. ›Ogbuefi Ndulue!‹, rief sie dreimal, dann kehrte sie in ihre Hütte zurück. Als die jüngste Frau sie erneut holen wollte, damit sie den Leichnam mit ihnen wasche, fand sie sie tot auf ihrem Lager.«
    »Das ist in der Tat seltsam«, meinte Okonkwo. »Dann werden sie mit der Bestattung Ndulues warten, bis seine Frau begraben ist.«
    »Und deshalb hat die Trommel es Umuofia noch nicht mitgeteilt.«
    »Es hat schon immer geheißen, Ndulue und Ozoemena seien eines Sinnes«, sagte Obierika. »Ich weiß noch, dass es in meiner Jugend ein Lied über sie gab. Er unternahm nichts, was er nicht zuvor mit ihr besprochen hatte.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Okonkwo. »Ich dachte, er sei in seiner Jugend ein starker Mann gewesen.«
    »Das war er allerdings«, sagte Ofoedu.
    Okonkwo schüttelte skeptisch den Kopf.
    »Er führte Umuofia damals in die Kriege«, sagte Obierika.

    Okonkwo war allmählich wieder der Alte. Erforderlich war dazu nur, dass er alle Hände voll zu tun hatte. Hätte er Ikemefuna in der emsigen Pflanzzeit oder zur Ernte getötet, wäre es nicht so schlimm gewesen; er wäre im Geiste bei der Arbeit gewesen. Okonkwo war kein Denker, sondern ein Mann der Tat. Wenn es aber nichts zu tun gab, war Reden das Nächstbeste.
    Bald nach dem Aufbruch Ofoedus nahm Okonkwo seinen Ziegenlederbeutel hoch, um sich ebenfalls zu verabschieden.
    »Ich muss heim und meine Palmen für den Nachmittag zapfen«, sagte er.
    »Wer zapft dir die großen?«, fragte Obierika.
    »Umezulike«, antwortete Okonkwo.
    »Manchmal wünschte ich, ich hätte den ozo -Titel gar nicht erst erworben«, sagte Obierika. »Es tut mir im Herzen weh, junge Männer Palmen totzapfen zu sehen [85]   .«
    »Du hast recht«, stimmte Okonkwo ihm zu. »Aber wir müssen die Gesetze des Landes befolgen.«
    »Ich frage mich nur, wie wir jemals zu so einem Gesetz kommen konnten«, sagte Obierika. »In anderen Klans ist es einem Titelträger nicht verboten, auf die Palmen zu steigen. Wir wiederum sagen, er darf zwar nicht auf die großen steigen, aber die kurzen selbst zapfen, die er im Stehen erreicht. Das kommt mir vor wie bei Dimaragana, der sein Messer nicht zum Zerteilen von Hundefleisch hergeben wollte, weil der Hund

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