Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Frauen war Ekwefi die einzige, die die Frechheit besitzen konnte, an seine Tür zu hämmern.
»Ezinma stirbt«, hörte er ihre Stimme, und in den Worten lag die ganze Schicksalsschwere ihres Lebens.
Okonkwo sprang von seinem Lager auf, schob den Riegel an seiner Tür zurück und lief in Ekwefis Hütte.
Ezinma lag zitternd auf einer Matte neben dem gewaltigen Feuer, das ihre Mutter die ganze Nacht in Gang gehalten hatte.
»Sie hat iba [91] « , erklärte Okonkwo, packte sein Buschmesser und zog in den Wald, um die Blätter, Gräser und Baumrinden zu sammeln, aus denen man das Heilmittel gegen iba bereitete.
Ekwefi kniete neben dem kranken Kind und fühlte immer wieder mit der Handfläche die feuchte, glühende Stirn.
Ezimna war als einziges Kind der Mittelpunkt der Welt ihrer Mutter. Sehr oft war Ezinma diejenige, die entschied, welche Speisen die Mutter zubereiten sollte. Ekwefi gab ihr sogar Köstlichkeiten wie Eier, die Kinder nur selten bekamen, weil dergleichen sie zum Stehlen verleitete. Einmal war, als Ezinma gerade ein Ei aß, Okonkwo unerwartet aus seiner Hütte herübergekommen. Er war entsetzt gewesen und hatte geschworen, er werde Ekwefi züchtigen, wenn sie es wagte, dem Kind noch einmal Eier zu essen zu geben. Doch Ezinma etwas auszuschlagen, war unmöglich. Nach der Zurechtweisung ihres Vaters wuchs ihr Appetit auf Eier umso mehr. Vor allem liebte sie die Heimlichkeit, mit der sie sie fortan verspeiste. Ihre Mutter nämlich zog sie dann stets in die gemeinsame Schlafkammer und schloss die Tür.
Ezinma nannte ihre Mutter nicht Nne [92] wie die anderen Kinder. Sie rief sie bei ihrem Namen, Ekwefi, wie der Vater und die anderen Erwachsenen es taten. Die Beziehung zwischen ihnen war nicht allein die von Mutter und Kind. Sie hatte etwas von einem Bündnis zwischen Gleichgestellten, und dieses wurde gestärkt von kleinen Verschwörungen wie die des Eieressens in der Schlafkammer.
Ekwefi hatte im Leben viel Kummer gehabt. Sie hatte zehn Kinder geboren; neun waren noch im Kleinkindalter gestorben, meist vor ihrem dritten Lebensjahr. Mit jedem Kind, das sie begrub, nahm ihr Schmerz stärkere Züge der Verzweiflung und schließlich grimmiger Ergebung an. Das Kinderkriegen, sonst der Triumph jeder Frau, brachte für Ekwefi nur körperliche Qual ohne Zuversicht. Die Zeremonie der Namensgebung nach sieben Marktwochen wurde zum leeren Ritual. Ekwefis wachsende Verzweiflung zeigte sich in den Namen, die sie ihren Kindern gab. Einer war ein Flehen: Onwumbiko – »Tod, ich bitte dich«. Doch der Tod scherte sich nicht darum; Onwumbiko starb mit fünfzehn Monaten. Das nächste Kind war ein Mädchen: Ozoemena – »Möge es sich nicht wiederholen«. Sie starb mit elf Monaten, und so erging es auch den beiden nächsten. Da wurde Ekwefi trotzig und nannte das darauffolgende Kind Onwuma – »Mag der Tod es halten, wie er will«. Was er tat.
Nach dem Tod des zweiten Kinds von Ekwefi war Okonkwo zu einem Heiler gegangen, der zugleich Seher des Afa-Orakels [93] war, um zu erfahren, was nicht stimmte. Der Mann erklärte, das Kind sei ein ogbanje , eines der bösen Kinder, die nach ihrem Tod in den Schoß der Mutter zurückkehrten, um wiedergeboren zu werden.
»Wenn deine Frau wieder schwanger wird«, sagte er, »soll sie nicht in ihrer Hütte schlafen. Schick sie zu ihren Leuten. So wird sie ihrem Plagegeist entrinnen und den bösen Kreislauf von Geburt und Tod durchbrechen.«
Ekwefi tat, wie ihr geheißen. Sobald sie wieder schwanger wurde, ging sie zu ihrer alten Mutter in ein anderes Dorf. Dort kam ihr drittes Kind zur Welt und wurde am achten Tag beschnitten. Sie kehrte erst drei Tage vor der Namenszeremonie in Okonkwos Haushalt zurück. Das Kind nannte sie Onwumbiko.
Bei seinem Tod bekam Onwumbiko keine ordentliche Bestattung. Okonkwo hatte nämlich einen anderen Heiler zu Rate gezogen, der im Klan wegen seines tiefen Wissens über die ogbanje großes Ansehen genoss. Sein Name war Okagbue Uyanwa [94] . Okagbue war eine imposante Erscheinung mit seiner gewaltigen Statur, dem Vollbart und dem kahlen Schädel. Seine Haut war hell, seine Augen waren rot und feurig. Er mahlte unablässig mit den Zähnen, wenn er denen lauschte, die ihn konsultierten. Er stellte Okonkwo Fragen über das tote Kind. Alle Nachbarn wie auch Verwandte, die gekommen waren, um den Tod des Kindes zu betrauern, umringten die beiden.
»An welchem Markttag wurde es geboren?«, fragte er.
»Oye«, antwortete Okonkwo.
»Und
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