Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
Vom Netzwerk:
mir meinen Beutel«, sagte er, und Ezinma brachte ihm vom anderen Ende der Hütte seinen Ziegenlederbeutel. Er wühlte darin nach seiner Schnupfflasche. Es war ein großer Beutel, fast sein ganzer Arm verschwand darin. Er enthielt neben der Flasche noch viele andere Dinge. Sein Trinkhorn zum Beispiel und auch eine Trinkkalabasse [82]   ; sie klapperten, als er in dem Beutel wühlte. Als er die Schnupfflasche gefunden hatte, schlug er sie einige Male gegen seine Kniescheibe, ehe er etwas Schnupftabak auf seine linke Handfläche schüttelte. Dann fiel ihm ein, dass er seinen Schnupflöffel nicht hervorgeholt hatte. Er wühlte erneut in dem Beutel, bis er den kleinen, flachen Elfenbeinlöffel fand, mit dem er den braunen Schnupftabak an die Nasenlöcher führte.
    Ezinma hob die Speiseschale mit der einen und die leere Wasserschale mit der anderen Hand hoch und kehrte in die Hütte ihrer Mutter zurück. ›Sie hätte ein Junge sein sollen‹, dachte Okonkwo abermals. Dann fiel ihm Ikemefuna wieder ein, und er fröstelte. Wenn er nur Arbeit hätte, dann könnte er schneller vergessen. Aber es war die Zeit der Rast zwischen Ernte und Pflanzzeit. Die einzige Arbeit, die Männer während dieser Zeit verrichteten, war das Decken der Hofmauern mit neuen Palmwedeln. Und die hatte Okonkwo bereits getan. Sie war an genau dem Tag fertig geworden, an dem die Heuschrecken kamen, an dem er auf der einen Seite der Mauer gearbeitet hatte und Ikemefuna und Nwoye auf der anderen.
    ›Seit wann bist du so ein schlotterndes altes Weib?‹, fragte sich Okonkwo. ›Du, den man in allen neun Dörfern als tapferen Krieger kennt? Wie kann ein Mann, der im Kampf fünf Männer getötet hat, zusammenbrechen, nur weil er ihrer Zahl einen Jungen hinzugefügt hat? Okonkwo, du bist ein altes Weib geworden.‹
    Er sprang auf, warf sich seinen Ziegenlederbeutel über die Schulter und ging zu seinem Freund Obierika.
    Obierika saß im Schatten eines Orangenbaums und bündelte den Bast der Raffiapalme für ein Hüttendach. Er tauschte Grüße mit Okonkwo und führte ihn in sein obi .
    »Ich hätte dich aufgesucht, sobald ich mit dem Bast fertig geworden wäre«, sagte er und strich sich den Sand von den Schenkeln.
    »Geht es gut?«, fragte Okonkwo.
    »Ja«, erwiderte Obierika. »Der Freier meiner Tochter kommt heute, und ich hoffe auf Einigung beim Brautpreis. Ich wollte dich bitten, dazuzukommen.«
    In diesem Moment betrat Obierikas Sohn Maduka den obi , grüßte Okonkwo und wandte das Gesicht dem Hof zu.
    »Komm reich mir die Hand«, forderte Okonkwo den Jungen auf. »Dein Ringkampf neulich hat mir große Freude bereitet.« Der Junge lächelte, gab Okonkwo die Hand und trat wieder in den Hof hinaus.
    »Er wird Großes vollbringen«, sagte Okonkwo. »Hätte ich einen solchen Sohn, wäre ich glücklich. Nwoye macht mir Sorgen. Den würde beim Ringen eine Schale Yamsbrei umwerfen. Seine zwei jüngeren Brüder geben mehr Anlass zur Hoffnung als er. Aber ich sage dir, Obierika, meine Kinder gleichen mir nicht. Wo bleiben die Schösslinge, die austreiben und die alte Staude ersetzen? Wäre Ezinma ein Junge gewesen, wäre mir wohler. Sie hat den rechten Sinn.«
    »Du sorgst dich unnötig«, sagte Obierika. »Die Kinder sind noch klein.«
    »Nwoye ist alt genug, eine Frau zu schwängern. In dem Alter habe ich bereits für mich selbst gesorgt. Nein, mein Freund, er ist nicht zu klein. Das Küken, aus dem ein Hahn wird, erkennt man am Tag, da es schlüpft. Ich habe mein Möglichstes getan, Nwoye zum Mann zu machen, aber er kommt zu sehr nach seiner Mutter.«
    Zu sehr nach seinem Großvater, dachte Obierika bei sich, sagte es aber nicht. Denselben Gedanken hatte auch Okonkwo. Doch er hatte längst gelernt, diesen Geist zu bannen. Wann immer ihm die Erinnerung an die Schwäche und die Erfolglosigkeit des Vaters zu schaffen machte, trieb er sie aus, indem er an die eigene Stärke und sein Gelingen dachte. Wie auch jetzt. Seine Gedanken wandten sich dem letzten Beweis seiner Männlichkeit zu.
    »Ich verstehe nicht, weshalb du dich geweigert hast, mit uns zu gehen und den Jungen zu töten«, sagte er in fragendem Ton zu Obierika.
    »Weil ich nicht wollte«, erwiderte Obierika scharf. »Ich hatte Besseres zu tun.«
    »Das klingt, als stelltest du die Geltung des Orakels in Frage, das seinen Tod verfügt hat.«
    »Das tue ich nicht. Wie sollte ich? Doch hat das Orakel nicht mich gebeten, den Spruch in die Tat umzusetzen.«
    »Dennoch musste es jemand tun. Würden wir

Weitere Kostenlose Bücher