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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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Zeremonie für Männer handelte. Es waren zwar viele Frauen da, aber sie sahen vom Rande des Geschehens her zu wie Außenstehende. Die Titelträger und Ältesten saßen auf ihren Schemeln und warteten auf den Beginn der Verhandlungen. Es sollte über neun Fälle entschieden werden. Zwei kleine Gruppen hielten sich in gebührender Entfernung vor den Schemeln bereit. Sie blickten den Ältesten entgegen. Drei Männer bildeten die eine, drei Männer und eine Frau die andere Gruppe. Die Frau war Mgbafo [99]   , und bei ihr standen ihre drei Brüder. In der anderen Gruppe befand sich ihr Mann Uzowulu [100]   mit einigen Verwandten. Mgbafo und ihre Brüder verharrten reglos wie Figuren, in deren Mienen der Künstler Trotz geknetet hat. Uzowulu und seine Verwandten wiederum flüsterten miteinander. Die Menge schwatzte. Es war wie auf dem Markt. Aus einiger Entfernung regte sich etwas wie Donnergrollen im Wind.
    Ein eiserner Gong wurde geschlagen, und erwartungsvolle Erregung lief wie eine Welle durch die Menge. Alle blickten zu dem Haus der egwugwu hin. Gome, gome, gome, gome tönte der Gong, dann brach der schrille Stoß einer mächtigen Flöte über sie herein. Gleich darauf waren die kehligen, furchterregenden Stimmen der egwugwu zu vernehmen. Die Welle erfasste als Erste Frauen und Kinder und löste eine zurückflutende Fluchtbewegung aus. Aber kurz nur. Schließlich standen sie genügend weit weg, um rennen zu können, sollte einer der egwugwu auf sie losgehen.
    Wieder tönte die Trommel, schrillte die Flöte. Das Haus der egwugwu verwandelte sich in ein Gewirr dröhnender Stimmen: Aru oyim [101]   de de de dei!, scholl es über den Platz, als nun die Geister der Ahnen, soeben der Erde entstiegen, einander in ihrer besonderen Sprache begrüßten. Das Haus, in dem die egwugwu erschienen, war dem Wald zu- und der Menge abgewandt, die lediglich seine Rückseite mit den vielfarbigen, in regelmäßigen Abständen von ausgewählten Frauen angebrachten Muster und Zeichnungen sah. Diese Frauen bekamen das Innere der Hütte niemals zu sehen. Wie auch sonst keine Frau es je zu sehen bekam. Sie schrubbten und bemalten die Außenwände unter der Aufsicht von Männern. Sofern sie sich dabei Vorstellungen dessen machten, wie es im Innern aussah, behielten sie diese für sich. Keine Frau stellte jemals Fragen über den mächtigsten und geheimsten Kult des Klans.
    Aru oyim de de de dei!, brauste es in der dunklen, geschlossenen Behausung, als loderten Flammen. Die Ahnengeister des Klans gingen um. Der eiserne Gong wurde nun unablässig geschlagen, und die Flöte, schrill und machtvoll, schwebte über dem Aufruhr.
    Und dann kamen sie, die egwugwu . Frauen und Kinder ergriffen kreischend die Flucht. Sie taten es unwillkürlich. Eine Frau floh nun mal, sobald ein egwugwu sich blicken ließ. Und wenn, wie an diesem Tag, neun der mächtigsten maskierten Geister des Klans zusammen erschienen, boten sie einen wahrhaft furchterregenden Anblick. Selbst Mgbafo wollte Reißaus nehmen und musste von ihren Brüdern zurückgehalten werden.
    Jeder der neun egwugwu vertrat eines der Dörfer des Klans. Ihren Anführer nannte man Bösen Busch. Rauch stieg aus seinem Haupt.
    Die neun Dörfer [102]   Umuofias waren den neun Söhnen des ersten Vaters des Klans entsprungen. Böser Busch vertrat das Dorf Umueru oder vielmehr die Kinder Erus, des ältesten der neun Söhne.
    Umuofia kwenu! , rief der Anführer der egwugwu und stieß die Bastarme in den Himmel. Yaa! , erwiderten die Ältesten.
    Umuofia kwenu!
    Yaa!
    Umuofia kwenu!
    Yaa!
    Dann rammte Böser Busch die Spitze seines rasselnden Stabs in die Erde. Dort begann dieser wie mit eisernem Leben beseelt zu zittern und zu rasseln. Der Geist nahm auf dem ersten von mehreren freien Schemeln Platz, und die acht anderen egwugwu folgten dem Alter nach seinem Beispiel.
    Okonkwos Frauen, wie vielleicht auch andere Frauen, mochten bemerkt haben, dass der zweite egwugwu den federnden Gang Okonkwos besaß. Und sie mochten auch bemerkt haben, dass Okonkwo sich nicht unter den Titelträgern und Ältesten befand, die hinter der Reihe der egwugwu saßen. Doch sollte ihnen dergleichen aufgefallen sein, dann behielten sie es für sich. Der egwugwu mit dem federnden Gang war einer der toten Vorväter des Klans. Er war schrecklich anzusehen mit seinem gerußten Bastkörper, dem gewaltigen Antlitz aus Holz, ganz weiß bis auf die Augenhöhlen und die verkohlten Zähne, die so groß waren wie der Finger eines Mannes.

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