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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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Aufmerksamkeit des Schildkrötenmanns; er war listenreich. Kaum hatte er von dem großen Festmahl im Himmel gehört, juckte ihm schon bei der Vorstellung die Kehle. Denn zu jener Zeit herrschte großer Hunger, und der Schildkrötenmann hatte seit zwei Monden kein richtiges Mahl mehr zu sich genommen. Sein Leib klapperte wie ein trockener Stock im leeren Panzer. Also sann er darauf, wie er in den Himmel gelangen könnte.«
    »Aber er hatte keine Flügel«, warf Ezinma ein.
    »Warte«, erwiderte ihre Mutter. »Darum geht es ja in der Geschichte. Der Schildkrötenmann hatte keine Flügel, also ging er zu den Vögeln und bat darum, sie begleiten zu dürfen.
    ›Oho!‹, sagten die Vögel, nachdem er seine Bitte vorgebracht hatte, ›wir kennen dich. Du bist listenreich und undankbar. Wenn wir dir erlauben wollten, uns zu begleiten, würdest du uns nur einen deiner Streiche spielen.‹
    ›Nein, ihr verkennt mich‹, sagte der Schildkrötenmann. ›Ich bin wie ausgewechselt. Ich habe gelernt, dass, wer anderen Ärger bereitet, ihn sich selbst bereitet.‹
    Dem Schildkrötenmann troffen Worte wie Honig von der Zunge, und bald schon fanden alle Vögel, dass er wie ausgewechselt sei, und alle liehen sie ihm eine Feder, aus denen er sich ein Paar Flügel fertigte.
    Endlich war der große Tag gekommen, und der Schildkrötenmann traf als Erster am Versammlungsort ein. Als schließlich alle Vögel da waren, brach man gemeinsam auf. Der Schildkrötenmann flog sehr munter und gesprächig zwischen den Vögeln dahin, und bald wählte man ihn seiner Redekunst wegen zum Sprecher der Gruppe.
    ›Eines gibt es‹, sagte der Schildkrötenmann, während sie dahinflogen, ›das dürfen wir keinesfalls vergessen: Wenn man zu einem großen Festbankett geladen ist, muss man sich zu diesem besonderen Anlass einen neuen Namen zulegen. Unsere Gastgeber im Himmel erwarten sicher von uns, dass wir die alten Sitten ehren.‹
    Von diesem Brauch hatte noch keiner der Vögel gehört, aber sie wussten, dass der Schildkrötenmann trotz seiner sonstigen Charakterschwächen weitgereist war und die Sitten und Gebräuche vieler Völker kannte. Also gaben sie sich alle neue Namen. Als alle gewählt hatten, traf auch der Schildkrötenmann seine Wahl. Sie möchten ihn fortan Jedermann rufen.
    Als die Gäste schließlich in den Himmel gelangten, freuten sich die Gastgeber sehr, sie zu sehen. Der Schildkrötenmann trat in seinem vielfarbigen Federkleid vor und dankte für die Einladung. Er sprach so gewandt, dass alle Vögel froh waren, ihn mitgenommen zu haben, und sie nickten anerkennend zu allem, was der Schildkrötenmann sagte. Die Gastgeber wiederum hielten ihn für den König der Vögel, zumal er sich so deutlich von den anderen abhob.
    Als Kolanüsse gereicht und verspeist worden waren, setzte das Himmelsvolk seinen Gästen Speisen von solcher Erlesenheit vor, wie der Schildkrötenmann sie weder gesehen noch sich hatte träumen lassen. Die Suppe, die man heiß vom Feuer in eben dem Topf brachte, in dem sie gekocht worden war, enthielt viel Fleisch und Fisch. Der Schildkrötenmann schnupperte genüsslich. Es gab zerstoßene Yams und auch Yams-Eintopf mit Palmöl und frischem Fisch. Auch wurden viele Krüge Palmwein herbeigeschafft. Als dies alles den Gästen vorgesetzt worden war, trat einer der Himmelsbewohner vor und kostete aus allen Töpfen. Dann wurden die Vögel aufgefordert, sich zu bedienen. Doch der Schildkrötenmann sprang auf und fragte: ›Und für wen habt ihr dieses Festmahl bereitet?‹
    ›Für jedermann‹, erwiderte der Himmelsbewohner.
    Da wandte sich der Schildkrötenmann an die Vögel und sagte: ›Ihr habt es gehört: Man nennt meinen Namen. Hierzulande ist es Sitte, zuerst den Sprecher zu bedienen und dann erst die anderen. Euch wird man bewirten, wenn ich gegessen habe.‹
    Er begann zu essen, und die Vögel grummelten verärgert. Die Himmelsbewohner dachten, unter ihren Gästen sei es Sitte, alle Speisen dem König zu überlassen. Und so verschlang der Schildkrötenmann den Großteil der Speisen und leerte zwei Krüge Palmwein, bis er schließlich dick und schwer war und sein Leib wieder den Panzer ausfüllte.
    Dann machten sich die Vögel über das her, was übrig geblieben war, und pickten an den Knochen, mit denen der Schildkrötenmann die Erde übersät hatte. Manche waren zu wütend, um zu essen. Sie zogen es vor, mit leerem Magen heimzufliegen. Doch ehe sie aufbrachen, verlangte ein jeder von ihnen die Feder zurück, die er

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