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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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dem Schildkrötenmann geliehen hatte. Da stand er nun mit einem Panzer voll Speisen und Wein, aber ohne eine einzige Feder zum Heimflug. Er bat die Vögel, seiner Frau eine Nachricht zu überbringen, doch alle weigerten sich. Nur der Papagei, der noch wütender war als alle anderen, überlegte es sich anders und willigte ein, die Botschaft zu überbringen.
    ›Trage ihr auf‹, bat der Schildkrötenmann, ›alles Weiche aus meinem Haus zu schleppen und den Hof damit auszulegen, damit ich ohne ernste Gefahr aus dem Himmel springen kann.‹
    Der Papagei versprach, es auszurichten, und flog davon. Als er aber die Hofanlage der Schildkröte erreichte, richtete er der Schildkrötenfrau aus, sie möge alles Harte aus den Hütten tragen. Und so schleppte sie die Hacken, Buschmesser, Gewehre und selbst Kanonen ihres Mannes in den Hof. Der Schildkrötenmann spähte aus dem Himmel herab und sah zwar seine Frau allerlei herbeischaffen, aber er war zu weit weg, um zu erkennen, was es war. Als alles bereit schien, ließ er sich fallen. Er fiel und fiel und fiel, bis er fürchtete, der Sturz nähme kein Ende. Doch mit einem Donnerschlag wie dem seiner Kanone krachte er auf den Hof.«
    »War er tot?«, fragte Ezinma.
    »Nein«, erwiderte Ekwefi. »Sein Panzer zerbarst. Doch gab es in der Nachbarschaft einen großen Heiler. Den ließ die Schildkrötenfrau kommen, und er sammelte alle Stücke ein und fügte sie wieder zusammen. Deshalb ist der Panzer der Schildkröte nicht glatt.«
    »Die Geschichte hat keine Lieder«, bemerkte Ezinma.
    »Nein«, sagte Ekwefi. »Ich überlege mir eine mit Lied. Aber jetzt bist du erst einmal dran.«
    »Einmal vor langer Zeit«, begann Ezinma, »traten der Schildkrötenmann und die Katze zum Ringkampf gegen Yams an – ach nein, so fängt es nicht an. Einmal vor langer Zeit herrschte im Land der Tiere eine Hungersnot. Alle waren dünn, bis auf die Katze, die fett war und deren Leib glänzte, als hätte man sie mit Öl –«
    Sie brach ab, als plötzlich eine laute, schrille Stimme die äußere Stille der Nacht durchstieß. Es war Chielo, die Priesterin Agbalas, mit einer Prophezeiung. Daran war nichts Ungewöhnliches. Dann und wann fuhr der Geist des Gottes, dem sie diente, in Chielo, und dann weissagte sie. Doch heute Abend richtete sie ihre Weissagung und Grüße an Okonkwo, und deshalb lauschten alle in seinem Haushalt angespannt. Die Geschichten verstummten.
    Agbala do-o-o-o! Agbala ekeneo-o-o-o , durchschnitt die Stimme scharf wie eine Klinge die Nacht. Okonkwo! Agbala ekene gio-o-o-o! Agbala cholu ifu ada ya Ezinmao-o-o-o! [106]  
    Als Ezinmas Name fiel, riss Ekwefi den Kopf hoch wie ein Tier, das den Tod wittert. Ihr Herz machte einen schmerzhaften Sprung.
    Die Priesterin hatte nun Okonkwos Hof erreicht und sprach vor seinem obi mit ihm. Sie wiederholte in einem fort, dass es Agbala nach seiner Tochter Ezinma verlange. Okonkwo flehte sie an, am Morgen wiederzukommen, weil Ezinma schon schlafe. Doch Chielo achtete nicht darauf, was er zu sagen versuchte, und rief immerzu lauthals, Agbala wolle seine Tochter sehen. Ihre Stimme war metallen; Okonkwos Frauen und Kinder hörten jedes Wort in ihren Hütten. Okonkwo flehte noch immer, das Mädchen sei krank gewesen und schlafe. Ekwefi zog sie rasch in die Schlafkammer und setzte sie aufs hohe Bambuslager.
    Da schrie die Priesterin mit einem Mal. »Hüte dich, Okonkwo! Hüte deine Zunge vor Agbala! Widerspricht ein Mann, wenn ein Gott spricht? Hüte dich!«
    Sie durchschritt Okonkwos Hütte, erreichte den inneren Hof und ging schnurstracks auf Ekwefis Hütte zu. Okonkwo lief ihr nach.
    »Ekwefi!«, rief Chielo. »Agbala grüßt dich. Wo ist meine Tochter Ezinma? Agbala verlangt nach ihr.«
    Ekwefi erschien mit der Öllampe in der Linken auf der Schwelle. Ein leichter Wind blies, und sie musste die rechte Hand schützend vor die Flamme halten. Nwoyes Mutter trat ebenfalls mit einer Öllampe vor ihre Hütte. Ihre Kinder drängten sich davor in der Dunkelheit und verfolgten das ungewöhnliche Geschehen. Zu ihnen gesellte sich jetzt auch Okonkwos jüngste Frau.
    »Wohin heißt Agbala sie kommen?«, fragte Ekwefi.
    »Wo sonst als in sein Haus in den Hügeln und Höhlen?«, erwiderte die Priesterin.
    »Ich werde euch begleiten«, sagte Ekwefi bestimmt.
    »Tufia-a! [107]   « , stieß die Priesterin in einem Ton, scharf wie das zornige Bellen des Donners in der Trockenzeit, aus. »Du wagst es, Weib, ungebeten vor dem mächtigen Agbala zu erscheinen?

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