Alles zerfällt: Roman (German Edition)
Gestalt in ihrem Rücken zu gehören. Die Arme hatte sie vor den nackten Brüsten verschränkt. Tau legte sich schwer über alles, die Luft war kalt. Sie konnte nicht mehr denken, nicht einmal an die Schrecken der Nacht. Sie trabte im Halbschlaf vor sich hin, nur dann erwachend, wenn Chieolo sang.
Schließlich drehten sie ab und hielten auf die Höhlen zu. Nun setzte Chielos Singsang nicht mehr aus. Sie grüßte ihren Gott mit einer Vielheit von Namen – Besitzer der Zukunft, Bote der Erde, Gott, der einen Mann am Tag tötet, der ihm der süßeste ist. Ekwefi erwachte zu neuem Leben, und auch ihre betäubten Ängste lebten wieder auf.
Der Mond stand jetzt am Himmel, sie konnte Chielo und Ezinma deutlich erkennen. Wie eine Frau ein Kind dieser Größe so mühelos und so lange hatte tragen können, war ein Rätsel. Doch daran dachte Ekwefi nicht. Chielo war in dieser Nacht keine Frau.
Agbala do-o-o-o! Agbala ekeno-o-o-o! Chi negbu madu ubosi ndu ya nato ya uto daluo-o-o! [110]
Nun sah Ekwefi im Mondlicht die Hügel aufragen. Sie bildeten einen Ring, der sich an einer Stelle öffnete und den Weg in die Mitte freigab.
Sobald die Priesterin in den Hügelring trat, wurde ihre Stimme nicht nur doppelt gewaltig, sondern auch von überallher als Hall zurückgeworfen. Dies war in der Tat der Schrein eines mächtigen Gottes. Ekwefi bahnte sich behutsam und lautlos ihren Weg. Sie bezweifelte inzwischen, ob es klug gewesen war, herzukommen. Es würde Ezinma nichts geschehen, sagte sie sich. Und wenn doch, wie sollte sie es verhindern? Sie würde es nicht wagen, in die unterirdischen Höhlen einzudringen. Ihr Kommen war vollkommen zwecklos.
Mit derlei Gedanken beschäftigt, merkte sie nicht, wie nah sie dem Höhleneingang schon waren. Als daher die Priesterin mit Ezinma auf dem Rücken durch ein Loch verschwand, durch das kaum ein Huhn gepasst hätte, stürzte Ekwefi vor, wie um sie aufzuhalten. Sie stand vor dem dunklen Rund, das die beiden verschlungen hatte, Tränen schossen ihr in die Augen, und sie schwor sich, sollte sie Ezinma schreien hören, sich in den Höhlenschlund zu werfen und sie gegen alle Götter der Welt zu verteidigen. Sie würde mit ihr in den Tod gehen.
Nachdem sie diesen Schwur getan hatte, hockte sie sich auf einen Felsvorsprung und wartete. Ihre Angst war wie weggeblasen. Sie hörte die Stimme der Priesterin, der durch die endlose Weite der Höhle alle Schärfe genommen war. Sie vergrub das Gesicht im Schoß und wartete.
Wie lange sie wartete, hätte sie nicht sagen können. Es musste eine sehr lange Zeit gewesen sein. Sie saß mit dem Rücken zum Pfad, der aus den Hügeln hinausführte. Sie musste hinter sich ein Geräusch gehört haben und fuhr herum. Dort stand ein Mann mit einem Buschmesser. Ekwefi schrie auf und sprang hoch.
»Lass den Unsinn«, sagte Okonkwo. »Ich dachte, du wolltest Chielo nachgehen?«, höhnte er.
Ekwefi erwiderte nichts. Tränen der Dankbarkeit stiegen ihr in die Augen. Sie wusste, nun war ihre Tochter in Sicherheit.
»Geh heim und schlaf«, befahl Okonkwo. »Ich werde hier warten.«
»Ich werde auch warten. Es dämmert schon. Der erste Hahn hat geschrien.«
Während sie dort beieinanderstanden, dachte Ekwefi an die Tage zurück, als sie jung gewesen waren. Sie hatte Anene geheiratet, weil Okonkwo damals zu arm gewesen war, um eine Frau zu nehmen. Doch nach zwei Jahren hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war zu Okonkwo durchgebrannt. Das war früh am Morgen gewesen. Der Mond schien. Sie wollte an den Fluss, um Wasser zu holen. Okonkwos Hof lag auf dem Weg. Sie war hineingegangen und hatte an seine Tür geklopft, und da war er herausgekommen. Selbst damals war er kein Mann gewesen, der viele Worte machte. Er hatte sie einfach auf sein Lager getragen und im Dunkeln an ihrer Taille nach dem losen Ende ihres Tuchs gegriffen.
Zwölftes Kapitel
Am nächsten Morgen war das ganze Viertel in festlicher Stimmung, weil Okonkwos Freund Obierika den uri [111] seiner Tochter feierte. Es war dies der Tag, an dem ihr Freier (nach Entrichtung eines Großteils des Brautpreises) Palmwein nicht nur für die Eltern und nächsten Verwandten bringen würde, sondern für die gesamte vielköpfige Verwandtschaft väterlicherseits, die umunna [112] . Alle waren eingeladen: Männer, Frauen und Kinder. Doch im Grunde handelte es sich um eine Frauenzeremonie, und im Mittelpunkt des Geschehens standen die Braut und ihre Mutter.
Schon bei Tagesanbruch wurde hastig
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