Alles zerfällt: Roman (German Edition)
eurem folgen«, wollte ein anderer Zuhörer wissen, »wer schützt uns dann vor dem Zorn unserer vernachlässigten Götter und Ahnen?«
»Eure Götter leben nicht, sie können euch nichts anhaben«, lautete die Antwort des weißen Mannes. »Sie sind Gebilde aus Holz und Stein.«
Als dieses den Männern von Mbanta übersetzt wurde, brach höhnisches Gelächter aus. Diese Leute waren verrückt, sagten sie sich. Wie sonst konnten sie behaupten, Ani und Amadiora seien harmlos? Waren es Idemili und Ogwugwu [131] etwa auch? Und da zerstreute sich die Menge langsam.
Doch die Missionare stimmten ein Lied an. Es war eine dieser fröhlichen und mitreißenden Melodien der Verkündigung, die die Macht hatten, die stummen, staubigen Saiten im Herzen eines Igbo anzuschlagen. Der Dolmetscher erläuterte denen, die gebannt stehenblieben, jede einzelne Strophe. Es ging um Brüder, die im Dunkeln und in Angst lebten, in Unkenntnis der Liebe Gottes. Es ging um ein Schaf, das sich allein in die Hügel verirrt hatte, weit weg von den Toren Gottes und der liebevollen Obhut des Hirten.
Nach dem Gesang sprach der Dolmetscher von dem Sohn Gottes, der Jesu Christi hieß. Okonkwo, dem einzig und allein die Hoffnung geblieben war, das Ganze werde damit enden, dass die Männer aus dem Dorf gejagt oder ausgepeitscht würden, sagte nun:
»Du sagst uns mit deinem eigenen Mund, es gebe nur einen Gott. Jetzt sprichst du von einem Sohn. Dann gibt es wohl auch eine Frau?« Die Menge war ganz seiner Meinung.
»Ich habe nicht gesagt, dass Er eine Frau hatte«, entgegnete der Dolmetscher etwas lahm.
»Deine Gesäßbacken haben gesagt, er hätte einen Sohn«, bemerkte der Witzbold. »Also muss er eine Frau und sie alle müssen Gesäßbacken haben.«
Der Missionar überging das und fuhr mit der Heiligen Dreifaltigkeit fort. Am Ende war Okonkwo restlos überzeugt, dass der Mann verrückt war. Er zuckte mit den Achseln und ging, seinen Nachmittagswein zu zapfen.
Doch ein junger Mann war unter den Zuhörern gewesen, der bezaubert war. Okonkwos Erstgeborener Nwoye. Es war nicht die wirre Spitzfindigkeit der heiligen Dreizahl, die ihn verzauberte. Die verstand er nicht. Es war die Poesie der neuen Religion, etwas, was ins Mark traf. Das Lied über die Brüder, die im Dunkeln saßen, und über ihre Angst, schien eine diffuse, aber hartnäckige Frage zu beantworten, die seine junge Seele bedrängte – die Frage nach den im Busch wimmernden Zwillingen, die Frage nach Ikemefuna, der getötet worden war. Er spürte, wie sich in ihm Erleichterung breitmachte, als das Lied sich in seine ausgedörrte Seele ergoss. Die Wörter des Lieds waren wie Tropfen gefroren Regens, die im trockenen Schlund der keuchenden Erde schmolzen. Nwoyes ungeformter Geist war verwirrt.
Siebzehntes Kapitel
Die ersten vier oder fünf Nächte verbrachten die Missionare auf dem Marktplatz, von wo aus sie am Morgen auszogen, die Botschaft zu verkünden. Sie fragten, wer König des Dorfs sei, doch die Dorfbewohner sagten ihnen, es gebe keinen König. »Wir haben Männer mit ehrenwerten Titeln, wir haben die Hauptpriester, und wir haben die Ältesten«, erklärten sie.
Nach der Aufregung des ersten Tages war es kein Leichtes, die Titelträger und die Ältesten zusammenzubringen. Doch die Missionare blieben hartnäckig, und am Ende wurden sie von den Anführern Mbantas empfangen. Sie baten um ein Stück Land für ihre Kirche.
Jeder Klan, jedes Dorf hatte seinen »bösen Busch«. In diesem verbotenen Bezirk wurden all jene verscharrt, die an den wahrlich bösen Krankheiten wie Lepra oder Pocken starben. Der böse Busch diente außerdem als Grube für die mächtigen Fetische der verstorbenen großen Heiler und Seher. Der Ort wurde heimgesucht von bösen Geistern und dunklen Mächten. Einen solchen Ort wiesen die Führer Mbantas nun den Missionaren zu. Da sie die Männer nicht wirklich in ihrem Klan sehen wollten, machten sie ihnen ein Angebot, das keiner, der bei Trost war, annehmen würde.
»Sie wollen ein Stück Land, wo sie ihren Schrein errichten können«, sagte Uchendu zu den anderen Würdenträgern, als sie Rat hielten. »Sie sollen es haben.« Er schwieg einen Augenblick, während überraschtes und empörtes Raunen durch die Runde ging. »Wir werden ihnen ein Teil des bösen Buschs überlassen. Sie brüsten sich des Sieges über den Tod. Dann sollen sie sich auf einem würdigen Schlachtfeld beweisen.« Man lachte und stimmte zu, dann rief man die Missionare erneut hinzu, die
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