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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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man gebeten hatte, sich zu entfernen, damit man »flüstern« könne. Man bot ihnen so viel vom bösen Busch an, wie sie zu haben wünschten. Doch zu ihrem größten Erstaunen dankten ihnen die Missionare und stimmten ein Lied an.
    »Sie verstehen nicht«, sagten einige der Ältesten. »Aber sie werden noch verstehen, wenn sie ihr Land morgen sehen.« Und damit wurde die Versammlung aufgelöst.
    Am Morgen begannen die Verrückten tatsächlich ein Stück Busch zu roden und ihr Haus zu errichten. Die Bewohner von Mbanta rechneten innerhalb von spätestens vier Tagen mit ihrem Tod. Der erste Tag verging, der zweite, dritte, vierte, doch niemand starb. Alle wunderten sich. Dann ging die Kunde um, der Fetisch des weißen Mannes besäße unglaubliche Macht. Es hieß, er trage über den Augen Gläser, die es ihm erlaubten, böse Geister zu sehen und mit ihnen zu sprechen. Wenig später gewann er seine ersten drei Bekehrten.
    Obwohl Nwoye sich vom ersten Tag an zu dem neuen Glauben hingezogen gefühlt hatte, behielt er das für sich. Er wagte sich aus Angst vor seinem Vater nicht zu nah an die Missionare heran. Doch wo immer sie im Dorf hinkamen, um im Offenen, auf dem Marktplatz oder auf dem ilo , zu predigen, war Nwoye zur Stelle. Und er begann tatsächlich, einige der schlichten Geschichten zu glauben, die sie erzählten.
    »Wir haben nun eine Kirche gebaut«, sagte Mr Kiaga, der Dolmetscher, der die junge Gemeinde betreuen sollte. Der weiße Mann war nach Umuofia zurückgekehrt, wo er sein Hauptquartier bezog, von dem aus er Mr Kiagas Gemeinde in Mbanta regelmäßige Besuche abstattete.
    »Wir haben nun eine Kirche gebaut«, sagte Mr Kiaga, »und wir möchten, dass ihr alle an jedem siebten Tag kommt, um den wahren Gott zu preisen.«
    Am folgenden Sonntag strich Nwoye um das kleine Lehmhaus mit dem Grasdach herum, ohne den Mut zu finden, einzutreten. Er hörte Gesang, und obwohl nur eine Handvoll Männer einstimmte, klang er stark und zuversichtlich. Die Kirche stand auf einer runden Lichtung; sie sah aus wie das offene Maul des Bösen Busch. Wartete er nur darauf, zuzuschnappen? Nachdem er endlos vor der Kirche hin- und hergestrichen war, kehrte Nwoye heim.
    Den Menschen von Mbanta war wohlbekannt, dass ihre Gottheiten und Ahnen sich gelegentlich sehr duldsam zeigten und es einem Manne zunächst durchgehen ließen, dass er ihnen die Stirn bot. Doch selbst in den bekannten Fällen zogen sie bei sieben Marktwochen, das waren achtundzwanzig Tage, die Grenze. Weiter zu gehen wurde keinem Mann erlaubt. Dementsprechend stieg im Dorf am Vorabend der siebten Woche seit Errichtung der Kirche im bösen Busch durch die unverschämten Missionare die Spannung. Die Dorfbewohner waren so felsenfest von dem Verhängnis überzeugt, das diese Männer erwartete, dass der eine oder andere Bekehrte es für ratsam hielt, die neue Glaubenszugehörigkeit erst einmal ruhen zu lassen.
    Schließlich kam der Tag, an dem alle Missionare hätten tot sein müssen. Aber sie lebten, sie bauten ein neues rotes Lehmhaus mit Grasdach für ihren Lehrer Mr Kiaga. In dieser Woche gewannen sie eine weitere Handvoll Bekehrte dazu. Und zum ersten Mal war eine Frau darunter. Ihr Name war Nneka, sie war die Frau Amadis [132]   , eines wohlhabenden Feldbauern. Sie war hochschwanger.
    Nneka hatte bereits vier Schwangerschaften, vier Niederkünfte erlebt. Doch jedes Mal hatte sie Zwillinge zur Welt gebracht, die sogleich fortgebracht worden waren. Ihr Mann und seine Familie rückten schon deutlich von der unglücklichen Frau ab, daher waren sie auch nicht übermäßig besorgt, als sie feststellten, dass sie zu den Christen übergelaufen war. Sie wurden ihrer nicht ungern ledig.

    Eines Morgens kam Okonkwos Vetter Amikwu [133]   auf seinem Heimweg aus dem Nachbardorf an der Kirche vorbei und entdeckte unter den Christen Nwoye. Er war sehr überrascht, und als er zu Hause war, ging er schnurstracks zu Okonkwo ins obi und erzählte ihm, was er gesehen hatte. Die Frauen begannen, aufgeregt zu schnattern, Okonkwo aber saß reglos da.
    Erst am späten Nachmittag kam Nwoye wieder. Er ging ins obi und grüßte seinen Vater, doch dieser antwortete nicht. Nwoye drehte sich um und wollte in den inneren Hof treten, als sein Vater, von Zorn überwältigt, plötzlich aufsprang und ihn im Genick packte.
    »Wo bist du gewesen?«, stammelte er.
    Nwoye rang darum, sich aus dem Würgegriff zu befreien.
    »Antworte!«, brüllte Okonkwo. »Sonst bringe ich dich um!« Er packte

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