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Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
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verbrennt das Geschlecht eurer Mütter«, entgegnete einer der Priester. Man ergriff die Männer und schlug sie blutig. Danach war eine lange Zeit Ruhe zwischen Kirche und Klan.
    Doch machten unterdessen Geschichten die Runde, der weiße Mann habe nicht nur eine Religion, sondern auch eine Regierung gebracht. Es hieß, er habe in Umuofia einen Gerichtshof errichtet, um die Angehörigen seiner Religion zu schützen. Es hieß sogar, er habe einen Mann erhängt, der einen Missionar getötet hatte.
    Obwohl inzwischen viele solche Geschichten in Umlauf waren, erschienen sie den Leuten Mbantas wie Märchen, und sie berührten bisher die Beziehung zwischen der neuen Kirche und dem Klan nicht. Für sie stand die Tötung eines Missionars gar nicht zur Debatte, denn Mr Kiaga war, bei aller Verrücktheit, ganz harmlos. Und was seine Bekehrten betraf, so konnte sie keiner töten, ohne den Klan fliehen zu müssen, denn trotz ihrer Nichtswürdigkeit gehörten sie diesem trotzdem an. Also schenkte niemand den Geschichten über die Regierung des weißen Mannes oder die Folgen der Tötung von Christen viel Beachtung. Sollten sie noch störender werden, als sie es schon waren, würde man sie einfach aus dem Klan jagen.
    Außerdem hatte die kleine Kirche im Augenblick zu viele eigene Sorgen, um dem Klan großen Ärger zu bereiten. Alles begann mit der Frage, ob Ausgestoßene aufgenommen werden konnten oder nicht.
    Als sie sahen, dass die neue Religion Zwillinge und ähnliche Frevel duldete, hofften die Ausgestoßenen oder osu , sie wären ebenfalls willkommen. Also betraten zwei von ihnen eines Sonntags die Kirche. Es gab sogleich Aufruhr; doch so groß war das Werk, das die neue Religion unter den Bekehrten vollbracht hatte, dass sie, als die Ausgestoßenen kamen, nicht auf der Stelle die Kirche verließen. Diejenigen, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befanden, wechselten lediglich den Platz. Es war ein Wunder. Doch es hielt nur bis zum Ende des Gottesdienstes. Dann begehrte die gesamte Gemeinde auf und war im Begriff, die Eindringlinge zu vertreiben, als Mr Kiaga ihr Einhalt gebot und erklärte:
    »Vor Gott«, sagte er, »gibt es weder Sklaven noch Freie. Wir alle sind Kinder Gottes, und wir müssen unsere Brüder willkommen heißen.«
    »Du verstehst nicht!«, wandte einer der Bekehrten ein. »Was sollen die Heiden sagen, wenn sie hören, dass wir osu aufnehmen? Sie werden uns auslachen.«
    »Sollen sie lachen«, sagte Mr Kiaga. »Am Jüngsten Tag wird Gott sie auslachen. Warum toben die Heiden, und die Völker reden so vergeblich? Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer, und der Herr spottet ihrer.«
    »Du verstehst nicht!«, beharrte der Bekehrte. »Du bist unser Lehrer, du lehrst uns die Dinge des neuen Glaubens. Aber in diesen Angelegenheiten kennen wir uns besser aus.« Und er erklärte ihm, was ein osu war.
    Es waren dies Wesen, die einem Gott geweiht waren, etwas für sich Gesondertes – für immer tabu, und auch ihre Nachkommen. Sie konnten unter den Freigeborenen weder heiraten oder verheiratet werden. Sie waren genau genommen Ausgestoßene, lebten in einem besonderen Bezirk des Dorfs in der Nähe des Großen Schreins. Wo immer sie hingingen, trugen sie das Zeichen ihrer verbotenen Kaste: langes, verfilztes, schmutziges Haar. Rasiermesser waren tabu. Ein osu durfte an keiner Versammlung der Freigeborenen teilnehmen, und diese wiederum durften nicht unter sein Dach treten. Ein osu durfte keinen der vier Titel des Klans erwerben, und wenn er starb, wurde er bei seinesgleichen im bösen Busch verscharrt. Wie konnte ein solches Wesen ein Gefolgsmann Christi sein?
    »Er braucht Christus mehr als du und ich«, sagte Mr Kiaga.
    »Dann kehre ich zum Klan zurück«, sagte der Bekehrte. Und er ging. Mr Kiaga aber blieb standfest, und es war seine Festigkeit, die die junge Kirche rettete. Die wankenden Bekehrten zogen aus dem unerschütterlichen Glauben Mr Kiagas ihrerseits Kraft und Zuversicht. Er befahl den Ausgestoßenen, sich das lange, verfilzte Haar abzuscheren. Zunächst fürchteten sie, sterben zu müssen.
    »Wenn ihr das Mal eures heidnischen Glaubens nicht abschert, untersage ich euch den Zutritt zur Kirche«, sagte Mr Kiaga. »Ihr fürchtet, ihr könntet sterben? Wie das? Was unterscheidet euch von anderen, die sich die Haare scheren? Derselbe Gott hat euch wie auch sie erschaffen. Doch haben sie euch wie Lepröse ausgestoßen. Das ist gegen Gottes Wille, der allen ewiges Leben versprochen hat, die an seinen

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