Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Alles zerfällt: Roman (German Edition)

Titel: Alles zerfällt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chinua Achebe
Vom Netzwerk:
Kammer«, sagte er zu Okonkwo und zeigte mit dem Finger auf sie. »Dort findest du einen Krug Wein.«
    Okonkwo brachte den Wein, und sie tranken. Der Wein war erst vom Vortag und sehr stark.
    »Ja«, bemerkte Uchendu nach einer langen Pause. »Damals waren die Menschen mehr unterwegs. Es gibt in dieser Gegend keinen einzigen Klan, den ich nicht sehr gut kenne. Aninta, Umuazu, Ikeocha, Elumelu, Abame – ich kenne sie alle.«
    »Habt ihr gehört«, fragte Obierika, »dass Abame nicht mehr ist?«
    »Wie?«, riefen Uchendu und Okonkwo wie aus einem Munde.
    »Abame ist dem Erdboden gleichgemacht worden«, sagte Obierika. »Es ist eine seltsame und schreckliche Geschichte. Hätte ich nicht die wenigen Überlebenden mit eigenen Augen gesehen und ihre Geschichte mit eigenen Ohren gehört, hätte ich es nicht für möglich gehalten. War es nicht ein Eke-Tag, als sie in Umuofia Zuflucht suchten?«, fragte er seine zwei Begleiter, die nickten.
    »Vor drei Monden«, fuhr Obierika fort, »kam an einem Eke-Markttag eine kleine Schar von Flüchtigen zu uns ins Dorf. Die meisten waren Söhne unseres Landes, deren Mütter bei uns bestattet sind. Doch es waren auch solche dabei, die bei uns im Dorf Freunde hatten, und wieder andere, die sonst keine Zuflucht wussten. Also kamen sie mit ihrer leidvollen Geschichte nach Umuofia.« Er trank seinen Palmwein, und Okonkwo füllte sein Horn nach. Er fuhr fort.
    »In der vorangegangenen Pflanzzeit war ein weißer Mann in ihrem Klan erschienen.«
    »Ein Albino«, mutmaßte Okonkwo.
    »Es war kein Albino. Er war ganz anders.« Obierika trank einen Schluck. »Und er ritt ein eisernes Pferd. Die Ersten, die ihn erblickten, rannten davon, da er ihnen aber zuwinkte, kehrten die Furchtlosen um und berührten ihn sogar. Die Ältesten befragten ihr Orakel, und es verhieß ihnen, der Fremde werde ihren Klan zerstören und Verwüstung unter ihnen anrichten.« Obierika nahm wieder einen Schluck Palmwein. »Also töteten sie den weißen Mann und banden sein eisernes Pferd an ihren heiligen Baum, weil das Pferd aussah, als wolle es loslaufen und die Freunde des Mannes herbeirufen. Aber ich habe vergessen, euch die zweite Weissagung des Orakels zu nennen. Es sagte nämlich, es seien weitere weiße Männer unterwegs. Sie seien Heuschrecken, sagte das Orakel, und dieser erste nur der Vorbote, der das Land auskundschaften solle. Auch deshalb töteten sie ihn.«
    »Was hat der weiße Mann gesagt, ehe sie ihn töteten?, fragte Uchendu.
    »Er hat gar nichts gesagt«, meinte einer von Obierikas Begleitern.
    »Doch, er hat etwas gesagt«, widersprach Obierika, »nur hat ihn keiner verstanden. Er sprach wie durch die Nase.«
    »Einer der Männer«, hob der andere Begleiter an, »hat mir erzählt, dass er immerzu ein Wort wiederholt habe, dass wie ›Mbaino‹ klang. Vielleicht wollte er nach Mbaino und hatte sich verirrt.«
    »Nun«, nahm Obierika wieder den Faden auf, »sie töteten ihn und banden sein eisernes Pferd fest. Das war vor der Pflanzzeit. Lange Zeit geschah nichts. Der Regen kam, die Yams waren gesät. Das eiserne Pferd war noch immer an den heiligen Kapokbaum angebunden. Und dann, eines Morgens, erschienen drei weitere weiße Männer vor dem Klan, geführt von gewöhnlichen Männern. Sie sahen das eiserne Pferd und gingen wieder fort. Der Großteil der Männer und Frauen von Abame war auf den Feldern. Nur einige Zurückgebliebene sahen die weißen Männer und ihre Wegführer. Viele Marktwochen geschah nichts weiter. In Abame halten sie an jedem zweiten Afo einen großen Markt ab, und dort findet sich, wie ihr wisst, der ganze Klan ein. Und an diesem Tag geschah es. Die drei weißen Männer und eine große Zahl anderer Männer umstellten den Markt. Sie müssen einen sehr starken Zauber eingesetzt haben, der sie unsichtbar machte, bis der Markt voll war. Und dann begannen sie zu schießen. Sie töteten alle bis auf die Alten und Kranken, die daheimgeblieben waren, und die Handvoll Männer und Frauen, deren chi hellwach war und sie sicher vom Marktplatz geleitet hatte [128]   .« Er schwieg einen Augenblick.
    »Und nun ist ihr Klan verlassen. Selbst die heiligen Fische ihres wundersamen Sees sind geflohen, der See hat die Farbe von Blut angenommen. Ein großes Übel hat ihr Land befallen, ganz, wie das Orakel sie gewarnt hatte.«
    Lange sagte niemand etwas. Uchendu mahlte hörbar mit den Zähnen. Dann brach es aus ihm hervor:
    »Nie sollte man einen Mann töten, der nichts sagt. Die Männer von Abame

Weitere Kostenlose Bücher