Alles zerfällt: Roman (German Edition)
einen schweren Stock vom Wandsockel und versetzte ihm zwei, drei schlimme Hiebe.
»Antworte!«, brüllte er abermals. Nwoye stand nur da, sah ihn an und schwieg. Draußen kreischten die Frauen, trauten sich jedoch nicht herein.
»Lass sofort den Jungen in Frieden!«, erklang eine Stimme von draußen im Hof. Es war Okonkwos Onkel Uchendu. »Bist du noch bei Sinnen?«
Okonkwo antwortete nicht. Doch er ließ Nwoye los, der fortging und nie mehr zurückkehrte.
Er lief zur Kirche und sagte Mr Kiaga, dass er beschlossen habe, nach Umuofia zu gehen, wo der weiße Missionar eine Schule errichtet hatte und jungen Christen das Lesen und Schreiben beibrachte.
Mr Kiagas Freude war übergroß. »Gesegnet, wer um meines Namens willen Vater und Mutter verlässt«, verkündete er. »Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.«
Nwoye verstand nicht recht. Aber er war froh, sich vom Vater abkehren zu können. Zu seiner Mutter und den Brüdern würde er später zurückkommen und sie für den neuen Glauben gewinnen.
Als Okonkwo am Abend in seiner Hütte saß und ins Feuer starrte, bedachte er die Angelegenheit. Zorn wallte in ihm auf, und es drängte ihn sehr, sein Kampfmesser zu ergreifen, zur Kirche zu laufen und die ganze üble, missratene Brut auszulöschen. Doch bei näherer Betrachtung fand er, Nwoye sei einen solchen Kampf nicht wert. Warum, klagte sein Herz, musste ausgerechnet er, Okonkwo, mit einem solchen Sohn geschlagen sein? Er erkannte darin deutlich den Finger seines persönlichen Gottes, seines chi . Denn wie sonst waren sein großes Unglück, die Verbannung und nun das schändliche Verhalten seines Sohnes zu erklären? Jetzt, da er in Ruhe darüber nachdachte, offenbarte sich ihm das Vergehen seines Sohnes in seiner ganzen unverzeihlichen Schwere. Den Göttern des Vaters abzuschwören und mit einem Haufen weibischer Männer umherzuziehen und zu gackern wie Federvieh war ein Ausbund an Frevelhaftigkeit. Was, wenn nach seinem Tod alle seine männlichen Nachfahren in Nwoyes Fußstapfen traten und sich von ihren Ahnen abkehrten? Okonkwo schauderte bei der schrecklichen Aussicht, der drohenden Gefahr vollkommener Vernichtung. Er sah sich im Gedränge der Vorväter am Ahnenschrein vergeblich auf die Ehrerbietungen und Opfer warten und nichts als die Asche untergegangener Tage vorfinden, während seine Kinder zu dem Gott eines weißen Mannes beteten. Sollte es jemals so weit kommen, würde er, Okonkwo, sie alle vom Angesicht der Erde tilgen.
Okonkwo kannte man auch unter dem Beinamen »Brüllende Flamme«. Das fiel ihm wieder ein, als er ins Feuer stierte. Er war ein loderndes Feuer. Wie kam es dann nur, dass er einen Sohn wie Nwoye hatte zeugen können, verweichlicht, weibisch? Vielleicht war der Junge ja nicht sein Sohn. Nein! Konnte er gar nicht sein. Seine Frau hatte ihn hintergangen. Der würde er es zeigen! Nwoye ähnelte seinem Großvater Unoka, dem Vater Okonkwos. Er verscheuchte den Gedanken. Er, Okonkwo, wurde lodernes Feuer gerufen. Wie hatte er ein Weib als Sohn zeugen können? In Nwoyes Alter war Okonkwo bereits in ganz Umuofia für seine Ringkunst und seine Furchtlosigkeit berühmt gewesen.
Er seufzte schwer, und wie aus Mitgefühl ächzte auch das glimmende Holz. Im Nu weiteten sich Okonkwos Augen, und er sah alles klar vor sich. Lebendes Feuer zeugte kalte, kraftlose Asche. Er seufzte abermals, schwer.
Achtzehntes Kapitel
Die junge Kirche in Mbanta hatte in ihren frühen Jahren schwere Zeiten durchzustehen. Zunächst war der Klan davon ausgegangen, dass sie nicht überleben werde. Aber sie hatte überlebt, und sie wurde langsam stärker. Der Klan sorgte sich, aber nicht übermäßig. Wenn eine Horde efulefu beschloss, im bösen Busch zu leben, war das ihre Sache. Bei genauerer Betrachtung war der böse Busch der einzig angemessene Ort für solch unliebsame Leute. Zwar stimmte es, dass sie Zwillinge aus dem Schandbezirk retteten, aber sie brachten sie niemals ins Dorf zurück. Aus Sicht der Dorfbewohner blieben die Zwillinge also trotzdem da, wo man sie hingeschafft hatte. Die Erdgöttin würde doch nicht die unschuldigen Dorfbewohner für die Sünden der Missionare heimsuchen?
Doch einmal hatten die Missionare die Grenze zu überschreiten versucht. Drei Bekehrte waren ins Dorf gekommen und hatten offen damit geprahlt, dass die Götter tot seien und machtlos und dass sie sie herausfordern und alle ihre Schreine in Brand stecken würden.
»Geht und
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