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Alles Zirkus

Alles Zirkus

Titel: Alles Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Brandt
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Becher nach Maggiwürze duftenden Kaffees vor Walter ab. Ein drahtiger Mann, ungefähr so alt wie er selbst. Um sein Gleichgewicht zu halten, hat der Institutsdirektor einen Fuß auf dem Spannteppich, den anderen wiegt er sprungbereit in der Luft. Er bringt seine Zeit nicht nur hinter dem Schreibtisch zu, so viel verraten die durchtrainierte Figur im dreiteiligen Glencheckanzug und sein sonnengebräuntes Gesicht. Wahrscheinlich benutzt er einen Elektrorasierer.
    »Auf die Idee, Sie zu kontaktieren, hat mich mein Sohn gebracht, er kennt eine Ihrer Mitarbeiterinnen – Sandra Dubrow. Nettes Mädchen.«
    Sandra? Was hat sie denn anderen Leuten zu erzählen?
    »Sie werden sich fragen, was genau wir von Ihnen erwarten«, kommt der Professor zur Sache – mit einem fordernden Lächeln unter zusammengekniffenen grauen Augen, die vom Konkretesten aus mühelos ins Ungefähre vordringen und hinter jenem Horizont, den wir fürs Ende halten, längst den nächsten ausgemacht haben. Walter nickt, obgleich er bereits froh wäre, auch nur eine ungefähre Ahnung davon vermittelt zu bekommen.
    Doch Maier kommentiert erst einmal die Lage der Wissenschaften ganz allgemein, ohne erkennbaren Bezug zur Frage, warum er so versessen darauf ist, das gerade ihm zu erzählen.
    Wie lange, überlegt Walter, will Mirko eigentlich noch auf diesen Auftrag für die Internetseiten einer Firma warten, die offenkundig längst anders disponiert hat, und dabei hört er den Mathematiker ausholen, der auf sein Gegenüber gar nicht mehr zu achten scheint. Wie ein großes dunkles Tuch wirft sich die aufgestaute Müdigkeit, die er schon den ganzen Tag zurückhält, über Walters Hirn, es ist nichts dagegen zu tun. Hinter den Lidern wartet auf ihn
    sein Erster Offizier. Er legt die Hand an die Mütze und meldet, welchen Kurs er dem Steuermann befohlen hat, um dem Sturm auszuweichen. Ernst streicht sein Blick von der wankenden Brücke über die tosende Wasserillusion.
    Er fragt sich, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sein wird, den Schafskopf darüber aufzuklären, dass sie sich gar nicht auf See befinden. Nicht einmal Menschen sind sie, sondern Gedanken, aber davon hat der Naivling dort noch nichts mitbekommen. Und Kapitän Mohnerlieser kratzt sich nachdenklich an der Pappnase …
    Ein kurzes Schütteln durchzuckt seinen Körper.
    »Die Behauptung lautet, dass man niemals mehr als vier Farben benötigt, um zwei benachbarte Länder auf einer Landkarte zu unterscheiden. Für fünf Farben leistet das jeder Mathematikstudent, für sechs kann man es so erklären, dass Kinder es kapieren. Aber vier?!«, dringt die Stimme des Mathematikers aus der Tiefe eines Fjords an sein Ohr. Die Streifen auf der Wand haben etwas beunruhigend Definitives.
    Walter Tomm kann sich so schnell nicht entscheiden, wie er zu diesem Problem steht. Der Professor wartet hingegen nicht, sondern spricht einfach weiter: »Zwangsläufig haftete der ganzen Geschichte immer etwas Unbefriedigendes an, auch wenn Appel und Haken schon vor dreißig Jahren unter Einsatz des Computers bewiesen, dass es sich in der Tat so verhält. Die Sache blieb – auch nachdem Robertson, Sanders, Seymour und Thomas sie später vereinfacht hatten – gewissermaßen unschön.«
    Unschön. Walter müht sich mit aller Kraft, die Augen offen zu behalten, und greift nach der Kaffeetasse, ein Henkelkrug der Sorte, wie sie zur Ausstattung von Arbeitsplätzen auf der ganzen Welt so verlässlich zählen wie Telefone und Computer. Trixi hat sich neulich erst vier solcher Humpen für ihr neues Büro gekauft.
    »Die Zeit verlangt jedem Präsenz ab – wem sage ich das? Durchsetzungsfähigkeit, spritzige Selbstdarstellung, wir Wissenschaftler bilden hierin keine Ausnahme«, hört Walter die mittlerweile vertraute Stimme weiterdudeln wie Musik, zu der auch das regelmäßige Knirschen des neuenglischen Pferdeleder-Slippers gehört, in dem sich des Professors Standfuß auf und ab bewegt, und seine eigene Gurgel fügt ein Glucksen hinzu, wenn er einen Schluck Kaffee nimmt, der ihn nicht wacher macht.
    »Wem ein Durchbruch gelingt, Herr Tomm, der sollte das nicht einfach abtun: Der darf diese Sensation gar nicht unterschlagen! Und wir im Institut – ich will Sie nicht auf die Folter spannen – wir haben die Nuss geknackt.«
    Walter hat keine Ahnung, wovon der Mann spricht.
    »Das werden wir nun nicht im stillen Kämmerlein kundtun, sondern mit einem gewaltigen Paukenschlag, in Form eines überraschend bunten Events, der

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