Alles Zirkus
der Rufschädigung, die ihm angeblich daraus erwächst, dass sich herumspricht, wie ihre Agentur mit seiner Kreativität umspringt, auch noch Schadenersatz. Die Bürgerrechtsbewegung hat sich an Zabel und Freunde dagegen gerade mit dem Auftrag gewandt, ihren Ruf aufzupolieren.
Maurer ist außer einem aufwendigen Plakatentwurf mit dem Slogan »Leidenschaft für die Sache« unter dem Genrebild eines in Lederkleidung vor seiner halbzerlegten Harley Davidson knienden harten Burschen noch nichts eingefallen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt der sich als teiggesichtiges Vorstandsmitglied jener Partei, aus dem Masken- und Kostümbildner in halbtägiger Arbeit einen schweißglänzenden, ölverschmierten Rocker gemacht haben. Walter Tomm schlägt mit dem Karton, den Maurer stolz herumzeigt, auf die Tischplatte, die Zornesader steht prall auf seiner Schläfe.
»Welcher Teufel hat dich geritten, einen Mann, den viele aus der Zeitung und dem Fernsehen kennen, einfach als sein Gegenteil zu verkleiden? Ein solcher Schwindel erstickt doch sofort jedes Interesse. Wir müssen die Spuren von doppeltem Spiel herausdestillieren, das diese Leute treiben, aber eben nicht so, dass jeder sofort merkt, was los ist. Wie ein Goldsucher, Edgar, musst du dich hineinknien in die Welt dieser Partei und ihres Personals. Krümel um Krümel, und seien sie noch so winzig, musst du voller Demut herauswaschen, bis dann damit etwas anzufangen ist, Gold, Junge, das man zum Schillern bringen kann – was notwendigerweise immer noch auf Übertreibung hinausläuft, sogar extreme Übertreibung, die als solche auch wahrgenommen wird, aber das macht nichts. Alles ist denkbar, solange irgendeine hauchdünne Verbindung zur Wirklichkeit gewahrt bleibt, eine minimale Verankerung in der Realität«, kanzelt Walter ihn regelrecht ab. Denn das sei ja auch die Methode dieser Leute: Sie phantasierten nicht blindlings daher, sondern suchten sich wie laichende Barsche einen dünnen Schilfhalm schlichter Wahrheit und befestigten daran lange Girlanden unzähliger trüber Eier.
Später bemüht sich Walter, wieder einmal Ordnung auf seinem ausladenden Glastisch zu schaffen. Aus dem Radio kommt Musik. Um ein Uhr gibt es Nachrichten. Den Astronauten der internationalen Weltraumstation sind beim Spaziergang im Orbit gerade Teile einer Ariane 5 um die Ohren geflogen. Er stutzt – sind die Überreste der explodierten Rakete damals denn nicht vollständig ins Meer gestürzt? Er war doch selbst dabeigewesen in Kourou. Zischen sie da oben etwa noch dreizehn Jahre später wie ziellose Kanonenkugeln durchs Firmament?
Die Aufräumarbeit ist nicht eben geeignet, Walter zu erheitern. Eine Anhäufung von Aktendeckeln und Plastikmäppchen, fast alles dreht sich um unergiebigen Kleinkram, und wo nicht, geht es um Streit oder anderen Ärger. Er verzichtet auf die Mittagspause, aber nach wenigen Stunden sind seine Kräfte erschöpft. Walter schiebt den verbliebenen Papierberg auf eine Seite des Tischs, klappt seinen Block zu, schaltet den Laptop aus und verlässt die Agentur, auch wenn der Nachmittag kaum richtig begonnen hat. Er hört die Tür in seinem Rücken zufallen und versucht sich einzureden, der nächste Tag werde Besseres bringen, schließlich propagieren Presse und Politik in auffallendem Gleichklang, der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise sei überschritten, nun stelle sich nach und nach wieder Normalität ein.
Nachdem er seinen Wagen, Professor Maiers Empfehlung folgend, irgendwie im dicht zugeparkten Hof untergebracht hat, geht Walter auf das Institutsportal zu. Ein paar Meter davor steht ein aschfahler Mann mit Flugblättern im Arm. Eine goldene Anstecknadel im Popeline seines Anoraks präsentiert die Profile von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao wie Spielkarten hintereinander geordnet. Seine Stimme ist, anders als das farblose Gesicht, aus dem sie kommt, nicht matt, sondern schneidend. Unermüdlich spult sie Glaubenstatsachen ab. Walter bekommt etwas in die Hand gedrückt und wirft einen flüchtigen Blick auf den Zettel, dem nicht anzusehen ist, ob man ihn vor dreißig Jahren oder gerade erst an diesem Morgen gestaltet hat. Langsam schwingt die Tür hinter seinem Rücken zu, und draußen setzt sich monoton das Geleier fort: »Für eine Mathematik im Dienst der Volksmassen! Entlarvt die Kriseninszenierung der Wall Street als infamen Versuch, die Arbeiterklasse global entscheidend zu schwächen!«
Mit den Worten »Milch und Zucker sind aus« stellt Maier einen großen
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