Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
aus alter Freundschaft in das neue Politbüro. Aber die Krankheit schritt fort. Vor unseren Augen verlor er den Gesprächsfaden und erkannte bekannte Leute nicht mehr. Endlich beauftragte Breschnew Andropow, mit ihm zu sprechen und ihm ein Rücktrittsgesuch abzuringen.
Andropow erzählte mir später von diesem Gespräch. Er betrat Kirilenkos Büro und begann, ohne ihn beleidigen zu wollen, entschlossen: »Andrej, du weißt, wir sind alle alte Kameraden. Ich spreche im Namen von allen, die dich verehrten und verehren. Wir haben den Eindruck, dass dein Gesundheitszustand sich merklich auf die Arbeit auswirkt. Du bist schwer krank und musst behandelt werden. Wir müssen diese Frage lösen.«
Kirilenko regte sich auf und weinte. Es war sehr schwer, mit ihm zu sprechen, aber Andropow fuhr fort: »Versteh, Andrej, wir brauchen eine grundsätzliche Lösung. Du musst dich ein, zwei oder so viele Monate wie nötig erholen. Alles bleibt dir erhalten: das Auto, die Datscha, die ärztliche Betreuung, alles. Wir sprechen als Freunde miteinander, aber die Initiative sollte von dir ausgehen. Weißt du noch, Kosygin ging es entschieden besser, aber er hat es gemacht …«
»Gut, Jurij«, sagte Kirilenko schließlich, »wenn es sein muss … Aber hilf mir, das Gesuch zu verfassen, ich schaffe das nicht allein.«
Andropow schrieb schnell ein kurzes Gesuch. Kirilenko schrieb es mit großer Mühe eigenhändig ab – und damit war die Sache erledigt. Am 22 . November, schon nach Breschnews Tod, wurde die Frage auf der Plenartagung des ZK entschieden.
Auf dieser Plenartagung wurde Alijew zum Politbüromitglied gewählt. Als ich Andropow später fragte, warum er diese Wahl getroffen habe, antwortete er unwillig und ausweichend, Breschnew habe diese Frage schon vorentschieden und er habe die Entscheidung nicht ändern wollen.
Alijew war zweifellos ein großer Politiker: klug, willensstark, berechnend. Anfangs, als ich seine Tätigkeit in Aserbaidschan beobachtete, war ich davon überzeugt, dass er ein überzeugter Gegner der Korruption und der Schattenwirtschaft war. Die Lösung vieler Fragen der Entwicklung in Aserbaidschan packte er tatkräftig an, besonders die der Landwirtschaft, und führte eine Reihe von Programmen durch. All das sprach für ihn.
Als ich aber tiefer in die aserbaidschanischen Angelegenheiten eindrang, verstand ich, dass vielen Veränderungen zweifelhafte Motive zugrunde lagen. Manchmal hört man, dass die innere Einstellung bei der Einschätzung der politischen Tätigkeit keine Rolle spielt, wichtig sei allein das objektive Resultat. Das stimmt absolut nicht. Meine Erfahrung sieht so aus, dass die Motive, besonders wenn sie nicht sehr edel sind, sich immer auf das Ergebnis auswirken. Den vorigen Clan der Führung, der alle Strukturen der Leitung der Republik wie Metastasen durchdrungen hatte und von Alijew wegen Korruption und Desorganisation der Arbeit verjagt worden war, hatte nun ein anderer Clan abgelöst, die sogenannte »Nachitschewaner Gruppe«. Genauso wie früher dominierten verwandtschaftliche Beziehungen, die fast bis ins zehnte Glied reichten. Mit dieser sicheren, auf dem Clan-Prinzip beruhenden Stütze leitete oder lenkte Alijew nicht, sondern er herrschte. Versammlungen, Manifestationen, Treffen mit der Presse, mit dem Volk und andere demokratischen Attribute waren nur Dekoration, die das Wesen und die Art seiner Herrschaft nicht im Mindesten beeinflussten.
Dieser Mann also kam jetzt ins Politbüro. Natürlich war der Grund nicht das Breschnew gegebene Versprechen. Alijew hatte lange im KGB gearbeitet, und Andropow war für ihn nicht nur der »Chef«, sondern auch eine anerkannte Autorität. Alijews Eintritt ins Politbüro verstärkte Andropows Position. Das war alles.
Genauso kannte Andropow sehr wohl die persönlichen Schwächen von Romanow, wusste, dass er ein engstirniger Mann mit Führungsanspruch war und hatte auf den Politbürositzungen gesehen, dass man von ihm selten einen vernünftigen Gedanken oder Vorschlag erwarten konnte. Trotzdem rief er ihn im Juni 1983 aus Leningrad nach Moskau und empfahl der Plenartagung, ihn zum ZK -Sekretär zu wählen.
Die Verteidigungsangelegenheiten des Landes waren sowohl vonseiten des Staates als auch vonseiten der Partei zu jener Zeit in den Händen von Ustinow konzentriert. Andropow fand die Machtkonzentration in einer derart wichtigen Sphäre gefährlich und wollte sie im Interesse der Sache und Ustinows persönlich besser verteilen. Aber die
Weitere Kostenlose Bücher