Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
versuchte alle Ereignisse, die sich an der Spitze zutrugen, zu verfolgen, rief regelmäßig den früheren KGB -Vorsitzenden der Ukraine Fedortschuk an und traf sich mit ihm.
Nachdem Andropow dann Generalsekretär geworden war, wirkte ihr Verhältnis äußerlich ganz normal, aber man spürte ständig eine Konkurrenz zwischen ihnen und unausgesprochene Vorwürfe. Keiner wollte auf den anderen zugehen. Wie soll man es sonst erklären, dass Schtscherbizkij während Andropows Zeit als Generalsekretär nicht ein einziges Mal die Schwelle seines Büros übertrat? Ich sah, was für eine Qual den beiden selbst seltene Anrufe bereiteten.
Was Tichonow betrifft, so hatte er unberechtigterweise beschlossen, Andropow verdanke seine Wahl hauptsächlich ihm. Er zählte auf seine volle und unbegrenzte Unterstützung und führte sich ein wenig forsch, ja unverschämt, auf. So sagte er in jenen Tagen zu Andropow: »Du kennst dich gut mit den Verwaltungsorganen, der Ideologie und der Außenpolitik aus. Die Wirtschaft übernehme ich.«
Als Andropow mich beauftragt hatte, für Ryschkow und Dolgich einen Dringlichkeitsplan zu erstellen, der die Optimierung der Wirtschaftslenkung, den Plan und die Erweiterung der Selbständigkeit der Betriebe betraf, war Tichonow ernstlich besorgt, unsere »Trojka« könnte Kontakte mit den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats und den Fachkräften der Staatlichen Planungskommission aufnehmen. Das schuf sofort eine nervöse Atmosphäre. Um sie zu entspannen, erklärte Andropow, er vertraue Tichonow und unterstütze ihn. Und ein wenig später sagte er zu mir: »Michail, ich bitte dich, tu alles, um es mit Tichonow nicht zu verderben. Du musst doch verstehen, wie wichtig mir das jetzt ist.« Andropow fürchtete offenbar, Tichonow und Tschernenko könnten sich zusammentun.
Andropow musste die Situation unter Kontrolle bekommen, und das Wichtigste war jetzt das Kräfteverhältnis. Indem er Alijew, Worotnikow, Tschebrikow, Ryschkow und Ligatschow hinzuzog, verstärkte er seine Position erheblich. Gleichzeitig suchte er eine Eskalation der Unzufriedenheit auf Seiten Tschernenkos, Tichonows, Grischins und Schtscherbizkijs zu verhindern, damit sich alle Mitglieder der Führung an seinem politischen Kurs aktiv beteiligt fühlten.
Die ersten Monate von Andropows Arbeit als Generalsekretär brachten uns einander noch näher. Ich spürte, dass er mir vertraute. Die erste Frage, die wir sofort nach Andropows Wahl zu entscheiden hatten, war heikel. Noch unter Breschnew hatte das Politbüro aufgrund des kläglichen Zustands des Haushalts entschieden, die Preise für Brot und Baumwollstoffe zu erhöhen. Dieses Dokument war zusammen mit einem Begleitschreiben an die entsprechenden Stellen verschickt worden, lag versiegelt in den Safes der Ersten Sekretäre der Gebiets-, Regionskomitees und der ZK s der Republiken und sollte am Vorabend des 1 . Dezembers 1982 geöffnet werden. Andropow bat Ryschkow und mich, noch einmal alles abzuwägen und ihm die Schlussfolgerungen mitzuteilen. Um zum Wesentlichen vordringen zu können, erbaten wir Einsicht in den Haushalt. Aber Andropow lachte nur: »Was ihr so alles wollt! An den Haushalt lasse ich euch nicht heran.«
Viele Geheimnisse des Haushalts wurden so streng gehütet, dass ich von einigen erst später als Generalsekretär und Präsident erfuhr. Vom Hauptgeheimnis, nämlich dass unser Haushalt große Löcher hatte, wusste ich. Er wurde ständig auf Kosten der staatlichen Banken subventioniert, das heißt auf Kosten der Spareinlagen der Bürger und der Erhöhung der Inlandsschulden. Offiziell dagegen hieß es immer, die Einkünfte seien höher als die Ausgaben, der Haushalt sei also ausgeglichen.
Ryschkow und ich kamen zu dem Schluss, die Erhöhung der Preise für Brot und Baumwolle allein bringe wenig. Andropow wollte anfangs nichts davon wissen. Er glaubte offenbar, ein solcher Schritt zeuge von der Entschlossenheit und dem Mut der Führung, den »das Volk verstehen und unterstützen« werde.
Trotzdem blieben wir dabei, dass eine solche Preiserhöhung weder aus ökonomischen noch aus politischen Gründen sinnvoll sei. Nachdem das Politbüro noch einmal alle Argumente dafür und dagegen angehört hatte, machte es seine frühere Entscheidung rückgängig.
Die nächste Frage, die anstand, waren die Getreidekäufe im Ausland. Wie immer stießen wir auf den Widerstand der Regierung. Das war verständlich, denn die Mittel reichten nicht, doch einen anderen Ausweg
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