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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Fragen der Partei, der Wirtschaft und der Ideologie. Je effektiver das Sekretariat arbeitete, desto mehr stiegen die Ansprüche an die Kader und desto unzufriedener wurden nicht nur Tichonow, sondern auch das Außenministerium und der Anhang des Generalsekretärs.
    Tichonow legte es konsequent und mit beneidenswerter Hartnäckigkeit auf eine Schwächung des Sekretariats an. Er versuchte, Ligatschow zu gewinnen, womit er wohl keinen großen Erfolg hatte. Was Dolgich angeht, zog Tichonow ihn mit dem bewährten Kunstgriff auf seine Seite: Er nannte ihn irgendwo in dessen Gegenwart seinen zukünftigen Nachfolger. Daraufhin verbrachte Dolgich die ganze Zeit im Dunstkreis des Premierministers bei endlosen Treffen und Gesprächen.
    Wie dem auch sei, in weniger als drei Monaten kamen die Partei und besonders das Zentrum Moskau nicht mehr an dem Sekretariat vorbei. Die einen erschienen zu den Sitzungen, die anderen hatten Angst davor. Tichonow wütete, brachte seinen Unmut zum Ausdruck und versuchte, die Arbeit des Sekretariats in Misskredit zu bringen. In dieser schwierigen Zeit hatte ich eine besondere Stütze in Ustinow. Unser Verhältnis wurde immer enger. Auch die sachliche und moralische Unterstützung von Ligatschow ist zu erwähnen. Viel und effektiv arbeitete ich auch mit Ryschkow zusammen. Selbst mit Simjanin kamen wir zu einer konstruktiven Lösung der Probleme und trafen uns häufig. Kurz: Ich fühlte mich sicher, sah alles gelassen und interessierte mich nicht mehr für eine offizielle Absegnung meiner Rolle im Sekretariat durch das Politbüro. Ich folgte meinem altbewährten Prinzip: Kommt Zeit, kommt Rat.
    Doch – am 30 . April 1984 lud mich Tschernenko auf einmal vor. Ich nahm an, es gehe um den bevorstehenden 1 . Mai. Aber der Dialog nahm sofort einen gereizten Ton an. Tschernenko druckste herum und sagte, er könne die Entscheidung der Frage nicht länger aufschieben, man mache ihm Druck, das führe zu einer Spaltung, zur Uneinigkeit in der Arbeit etc. Ich fragte: »Konstantin Ustinowitsch, was meinen Sie?«
    »Die Leitung des Sekretariats.«
    »Da machen Sie sich umsonst Sorgen. Lassen Sie uns diese Frage im Politbüro lösen, es ist ja eine Vertrauensfrage. Ich möchte von meinen erfahrenen Kollegen wissen, worin sie meine Schwäche und Fehler sehen. Ich hoffe, es geht nicht um meinen Platz im Politbüro.«
    »Nein, wovon reden Sie?«, murmelte Tschernenko verwirrt.
    Da platzte es aus mir heraus: »Wenn das so ist, dann habe ich ein Recht darauf, zu erfahren, was meine Opponenten von mir wollen, was sie an Kritik vorzubringen haben. Wir müssen die Arbeit des ZK -Sekretariats bewerten. Es gibt Leute, denen es nicht passt, dass es in der letzten Zeit in Fahrt gekommen ist. Sie als Generalsekretär müssen sich dazu eine Meinung bilden und Stellung nehmen. Ich sehe, wie versucht wird, die Macht in verschiedene Richtungen zu zerren, das kann gefährliche Konsequenzen haben. Deshalb bin ich an einer Lösung des Problems interessiert, und zwar grundsätzlich. Die Situation in der Führung ist schwierig, wir alle brauchen das offene Gespräch. Wenn die Zeit dazu gekommen ist, sollte man dem nicht ausweichen.«
    Tschernenko bat mich noch einmal, meine Gedanken ruhig darzulegen und machte sich Notizen. Wir vereinbarten eine Politbürositzung für den 3 . Mai, beglückwünschten uns zum bevorstehenden Maifeiertag und gingen auseinander. Ich hatte den Eindruck, bei dieser unentschiedenen, schwammigen Haltung des Generalsekretärs konnte man wer weiß was erwarten.
    Am Ende des Tages rief Ustinow an, beglückwünschte mich zum 1 . Mai und schlug vor, an diesem Tag früher Schluss zu machen. Einige Leute in der Führung – Ustinow, Ligatschow, Ryschkow, ich und ein paar andere arbeiteten jeden Tag  12 bis 14  Stunden, bis in die Nacht. Ich dankte ihm und erzählte spontan von dem Gespräch mit Tschernenko. Ustinow war alarmiert, weil er eine großangelegte Intrige dahinter sah, billigte meine Position, riet unter allen Umständen, an ihr festzuhalten und mir keine Sorge zu machen, weil er fand, der Vorstoß gegen mich sei zum Scheitern verurteilt.
    Am 3 . Mai versammelten wir uns zur Politbürositzung und besprachen alle Punkte der Tagesordnung. Aber die Frage, über die ich mit dem Generalsekretär gesprochen hatte, kam nicht auf den Tisch. Wie sich herausstellte, hatte Ustinow Tschernenko geraten, sich nicht von Tichonow & Co gängeln zu lassen. Zwei, drei Tage später sagte Tschernenko zu mir: »Ich

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