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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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gab es noch ein wichtiges Ereignis. Am 12 . Juni, als ich als Teilnehmer einer offiziellen Delegation der UDSSR auf der Wirtschaftskonferenz der RGW -Staaten weilte, traf in Moskau die traurige Nachricht vom Tod des Generalsekretärs der italienischen Kommunisten Enrico Berlinguer ein. Er war ganz plötzlich bei einer gewöhnlichen Kundgebung in Italien gestorben.
    Es wurde beschlossen, eine Delegation der KPDSU zu den Beerdigungsfeierlichkeiten zu schicken. Boris Ponomarjow, der Leiter der Internationalen Abteilung, wollte die Delegation leiten, aber im Lichte der früheren Beziehungen Ponomarjows zu den Führern der Italienischen Kommunistischen Partei hätte seine Reise einen Affront bedeutet. Das schrieben Andrej Alexandrow und Wadim Sagladin offen an das Politbüro. Nach Beratungen mit den italienischen Genossen wurde beschlossen, mich nach Italien zu schicken. Ich war mit Berlinguer nicht persönlich bekannt, aber ich konnte mich gut an seine Reden auf unseren Parteitagen erinnern. Er sprach mit gleichmäßiger, ruhiger Stimme, ohne die für die Italiener so typischen großen Emotionen, und packte in seinen Reden den Stier gleich bei den Hörnern.
    Über all das und vieles andere sprachen wir unterwegs, als ich am 13 . Juni zusammen mit Sagladin und Mironow, dem Sekretär des Gebietskomitees von Donezk, nach Rom flog. Unsere Abfahrt geschah so übereilt, dass uns keine besonderen Aufträge vom Politbüro mitgegeben worden waren, außer dem Wunsch, die Beziehungen zwischen unseren Parteien zu besprechen.
    Was wir in Rom sahen, hinterließ einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck. Ganz Italien trauerte. Zu der Beerdigung kamen Hunderttausende von Menschen. Wir standen mit Giancarlo Pajetta [27] auf dem Balkon des ZK -Gebäudes und hörten die Grußbotschaften der defilierenden Kolonnen an die Delegation der KPDSU . Ich wurde gefragt: »Was denken und fühlen Sie, wenn Sie sehen, wie die Italiener Berlinguer das letzte Geleit geben?«
    Die Antwort war nicht einfach, jedenfalls damals. Ganz Italien nahm Abschied von ihm, die Chefs aller politischen Organisationen. Der italienische Präsident Alessandro Pertini verneigte sich im Namen der ganzen Nation vor dem aufgebahrten Führer einer Oppositionspartei. All das war Ausdruck einer uns fremden Einstellung, einer andersgearteten politischen Kultur.
    Mit Giancarlo Pajetta und dem russischen Botschafter Lunkow in Rom, Juni 1984
    Mit Giancarlo Pajetta, Wadim Sagladin und Gianni Cervetti, Juni 1984
    Quelle: A. Palma
    Am Abend desselben Tages, am 13 . Juni, trafen wir uns in der sowjetischen Botschaft mit führenden Mitgliedern der PCI . Anwesend waren Bufalini, Chiaromonte, Cossutta, Minucci, Pajetta, Pecchioli, Rubbi und Cervetti. Das Gespräch war offen, drehte sich aber im Kreis. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und sagte: »Gut, Sie haben schon eine Million Mal gesagt, Sie sind frei, unabhängig, wollen keine Kommandos und erkennen kein Zentrum an. Wir haben zwei Millionen Mal bekräftigt, Sie sind frei, unabhängig, und es gibt kein Zentrum. Und wie soll es weitergehen?«
    Die italienischen Freunde sahen mich verständnislos an.
    »Vielleicht sollten wir uns mal treffen«, fuhr ich fort, »zusammen die neue Situation in der Welt analysieren, nachdenken, uns austauschen?«
    Die Unterhaltung zog sich die ganze Nacht hindurch, und am Morgen, als wir uns trennten, gab es Anzeichen für ein gewisses Verständnis für einander.
    Am nächsten Tag, dem 14 . Juni, empfing mich der italienische Präsident Pertini. Mich beeindruckten seine demokratische Haltung, seine echte Sympathie für unser Volk und sein Respekt angesichts der sowjetischen Verdienste am Sieg über den Faschismus. Pertini selbst war in der Widerstandsbewegung gewesen. Mir imponierten seine Aufgeschlossenheit und die Geradlinigkeit seiner Urteile. Der Präsident sprach sich für die Zusammenarbeit von Kommunisten und Sozialisten aus. Es war ein gehaltvolles Gespräch, und als wir uns am Ende freundschaftlich umarmten, kam das von Herzen.
    Am selben Tag flogen wir nach Moskau zurück. Pajetta und Rubbi brachten uns zum Flughafen in Rom. Das ZK der PCI hatte offenbar schon am Vortag seine Position geklärt, und umgeben vom Gedröhn der Flugzeugturbinen hinter den riesigen Glasfenstern verabredeten wir mit Handschlag, kameradschaftliche Beziehungen zwischen unseren Parteien aufzubauen, zusammenzuarbeiten und uns gegenseitig zu unterstützen. Das konnte ich dem Politbüro in meinem Reisebericht

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