Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
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Das Jahr endete für mich mit einem Besuch Großbritanniens, kurz nach dem Abschluss der Konferenz für Ideologie in Moskau. Als Leiter einer parlamentarischen Delegation, zu der Welichow, Samjatin und Jakowlew gehörten, landete ich am 15 . Dezember in London. Derartige Delegationen nach England hatte es seit fünfzehn Jahren nicht mehr gegeben, die Beziehungen zwischen unseren Ländern waren in diesen Jahren recht schwierig, und so bestand die Notwendigkeit eines solchen Besuchs.
Besuche von Parlamentariern galten bei uns als reine Formalität, weshalb die Beamten unseres Außenministeriums dieser Reise auch keine besondere Bedeutung beimaßen. Doch es sollte anders kommen. Ausgerechnet hier, im britischen Parlament, äußerte ich die Beobachtungen und Gedanken zur Außenpolitik und Weltordnung, die sich bei mir im Lauf mehrerer Jahre herausgebildet hatten. Der Text dieser Rede wurde bei uns und im Ausland gedruckt, ich möchte nur an ein paar Punkte erinnern:
Das Atomzeitalter zwingt zu einem »neuen politischen Denken«. Die Kriegsgefahr ist heute eine Realität, denn der »Kalte Krieg« beinhaltet keine normalen Beziehungen, sondern birgt die Gefahr eines Krieges in sich. In einem Atomkrieg kann es keine Sieger geben. Kein Staat kann seine Sicherheit darauf bauen, dass er die Sicherheit anderer beeinträchtigt. Die Sowjetunion ist bereit, die Rüstung, insbesondere die Atomwaffen, so weit zu begrenzen und zu reduzieren, wie es unsere westlichen Verhandlungspartner tun.
Diese Erklärungen riefen in der Weltpresse ein äußerst lebhaftes Echo hervor. Besonders oft wurde der Passus zitiert: »Was uns auch trennt, wir leben auf einem Planeten. Europa ist unser gemeinsames Haus. Ein Haus, und kein ›Kriegsschauplatz‹.«
Ausführlich berichtete die Presse auch von unserem Treffen mit Margaret Thatcher. Mit ihrem Mann Dennis und mehreren Ministern erwartete sie uns am zweiten Tag auf ihrem Landsitz Chequers. Am Eingang empfingen uns die Journalisten, und das berühmte Foto, auf dem wir zu viert sind und Mrs Thatcher uns höflich zeigt, wo und wie wir uns hinstellen sollen, stammt von hier. Lustigerweise legten viele dieses Foto später ganz anders aus und behaupteten: Margaret Thatcher mustere aufmerksam Raissas Kostüm.
Mit Dennis Thatcher, Raissa, Margaret Thatcher sowie Alexander Jakowlew und dem sowjetischen Botschafter in Großbritannien, Walerij Popow ( 2 . Reihe), 16 . Dezember 1984
Das Treffen begann mit einem Lunch. Thatcher und ich saßen an der einen Seite des Tisches, Dennis und Raissa gegenüber. Alles sah durchaus dezent und wohlgesittet aus, aber selbst bei Tisch waren die bissigen Untertöne nicht zu überhören. Da sagte ich: »Ich kenne Sie als einen überzeugten Menschen, der seine Prinzipien und Wertvorstellungen hat. Davor habe ich Respekt. Aber Sie müssen wissen: Neben Ihnen sitzt genauso ein Mensch. Außerdem kann ich Ihnen sagen: Ich habe vom Politbüro nicht den Auftrag, Sie zum Eintritt in die Kommunistische Partei zu überreden.«
Nach diesem Einwurf lachte sie herzhaft, und die formelle und höfliche Unterhaltung verwandelte sich in ein offenes und interessiertes Gespräch. Es drehte sich um dieselben Probleme, über die ich am nächsten Tag vor den britischen Parlamentariern sprach. Nach dem Lunch gingen wir zum offiziellen Gespräch über. Samjatin und Jakowlew kamen hinzu. Zunächst hielten wir uns an unsere vorgefertigten Aufzeichnungen, später aber legte ich meine zur Seite, und auch Mrs Thatcher steckte ihre Zettel in die Handtasche. Ich breitete ein großes Blatt mit tausend Kästchen vor der Premierministerin aus. Alle bereits vorhandenen Kernwaffen waren gleichmäßig auf diese Kästchen verteilt. Ein Tausendstel reichte, um die Grundlagen des Lebens auf der Erde auszulöschen.
Mrs Thatchers Reaktion war lebhaft und emotional – und durchaus aufrichtig, wie mir scheint. Jedenfalls bedeutete dieses Gespräch eine klare Wende, die auf einen großen politischen Dialog zwischen unseren Ländern über die Probleme atomarer Waffen und atomarer Sicherheit hinauslief.
Während des offiziellen Gesprächs nahmen sich drei oder vier Minister Raissas zum Small Talk an. Zu ihrer großen Überraschung sprach sie mit ihnen über die englische Literatur und Philosophie, für die sie sich immer sehr interessiert hatte. Die Unterhaltung zog sich über die ganzen drei Stunden hin, die wir beschäftigt waren. Am nächsten Tag erzählte die Londoner Presse, die
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