Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Schweigen.
»Sollen wir uns nicht ein wenig die Beine vertreten?«, schlug Reagan vor. Er bat mich in das Häuschen im Hof der Villa, in der die Verhandlungen stattgefunden hatten. Es begann ein »Gespräch am Kamin«. Einige meiner Gesprächspartner, mit denen ich mich in den Perestrojka-Jahren traf, luden mich übrigens ganz ähnlich zu einem Gespräch am Kamin ein. Die scheinbare Spontaneität Reagans war also in Wirklichkeit ein gut durchdachter Schachzug. Sobald wir Platz genommen hatten, zog er ein Blatt Papier aus der Tasche und reichte es mir. Es waren Vorschläge zur Rüstungskontrolle, die neun Punkte umfassten. Der Text war russisch.
Am Kamin in der Villa Fleur d’Eau, 19 . November 1985
Ich las und sagte, mir stießen schon bei der ersten Lektüre inakzeptable Dinge auf. Die Annahme eines solchen »Paketes« erlaube den USA doch nur, ihr Programm der weltraumgestützten Raketenabwehr weiterzuführen. Das Gespräch versiegte. Es war warm und gemütlich in dem Raum. Das Feuer im Kamin loderte, aber das Gespräch war nicht dazu angetan, unsere Stimmung zu heben. Wir kehrten in die Villa zurück. Unterwegs lud mich Reagan ein, die USA zu besuchen. Ich revanchierte mich sofort und lud ihn in die Sowjetunion ein. Wir nahmen die Einladungen an, das Eis war gebrochen … Langsam und mühevoll begann sich in diesen schwierigen Diskussionen ein Lichtstreif zwischen uns beiden und zwischen den Delegationen beider Seiten abzuzeichnen.
Am selben Tag wandte sich Reagan plötzlich mit einer Frage an mich: »Wie würden Sie es beurteilen, wenn die Vereinigten Staaten für den Fall einer Bedrohung unserer beiden Länder aus dem Kosmos eine Zusammenarbeit vorschlügen?«
Ich erwiderte: »Wir würden ihren Vorschlag annehmen. Ich hoffe, dass Ihr Land ebenso handeln würde.«
»Ja, natürlich«, sagte Reagan.
Am nächsten Tag stand das Thema Menschenrechte im Zentrum der Diskussion. Reagans Lieblingsthema: Wenn die Sowjetunion bessere Beziehungen zu Amerika haben wolle, müsse sie ihre Reputation im Bereich der Freiheit des Einzelnen verbessern. Ich erläuterte meine Ansichten zu dieser sehr wichtigen Problematik. Dabei unterstrich ich jedoch: Die Vereinigten Staaten dürfen anderen nicht ihre Standards aufzwingen. Jedes Volk hat das Recht, seine Wahl zu treffen.
Am nächsten Tag kamen wir bei den Reagans zum Abendessen zusammen. Die Experten arbeiteten noch an dem Abschlusskommuniqué, dessen Annahme nicht sicher war. Die Amerikaner nutzten die Gelegenheit aus, weil sie meinten, unser Interesse an einem abschließenden Dokument sei größer als ihres.
Als die Delegationen eine Kaffeepause machten, kamen Außenminister Shultz, Kornijenko und Bessmertnych zu uns und berichteten von der Arbeit an dem Kommuniqué. Shultz, sonst ein ruhiger, ausgeglichener und besonnener Mann, fiel auf einmal dem berichtenden Kornijenko ins Wort und widersprach ihm scharf. Kornijenko antwortete hitzig. Er stand hinter mir, und ich sah auf einmal, dass er sich wie eine Rakete auf Shultz zu werfen drohte. Ich drehte mich um und erblickte das rot angelaufene Gesicht unseres stellvertretenden Außenministers. Das sah nicht nach einem diplomatischen Meinungsaustausch aus.
Shultz wandte sich an mich: »Mister Generalsekretär, da sehen Sie ja, wie unsere Arbeit läuft. Wie soll man auf diese Weise denn zu etwas kommen?!«
Präsident Reagan schlug vor: »Komm, wir hauen mit der Faust auf den Tisch.«
Ich: »Warum nicht?«
Und wir hauten mit der Faust auf den Tisch – beziehungsweise nicht auf den Tisch, sondern auf einen schwarzen Klavierdeckel – und gingen auseinander. Ich rief meine Kollegen zu mir und fragte: »Worum geht es?«
Kornijenkos Ton und Verhalten nach zu schließen, hätte man gedacht, es handele sich um prinzipielle Meinungsverschiedenheiten. Als aber Bessmertnych berichtete, zeigte sich, dass sie sich um einzelne Wörter stritten. Wir lösten das Problem.
»Was noch?«, fragte ich.
Es gab Schwierigkeiten mit der Wiederaufnahme der Aeroflot-Flüge in die USA . Das sowjetische Ministerium für zivile Luftfahrt hätte irgendwelche Einwände. Ich ließ mich telefonisch mit Minister Bugajew verbinden. Der sagte: »Alles ist gut. Es gibt noch kleine Fragen, aber die lösen wir schon.«
»Noch etwas?«
»Nein.«
In 15 Minuten hatten wir die unüberwindbaren Hindernisse überwunden.
Das war der typische Stil unserer Diplomatie oder jedenfalls einiger führender Personen des Außenministeriums: Hauptsache,
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