Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Unbeugsamkeit demonstrieren, selbst wenn weder politisch noch praktisch eine Notwendigkeit dazu bestand. Meinen Stil, verstärkt in Dialog zu treten und nach Kompromissen zu suchen, betrachteten manche Kollegen als Schwäche …
Am nächsten Morgen fand der Schlussakt mit der Unterzeichnung statt. Die Fahnen der UDSSR und der USA wurden gehisst, Pressevertreter waren anwesend. Der Präsident und ich betraten das Podium, und wir unterschrieben eine wirklich historische Erklärung, in der es heißt: »Es darf nicht zu einem Atomkrieg kommen, denn es kann darin keine Sieger geben.« Damit war das atomare Wettrüsten für sinnlos erklärt worden. Die Atomwaffenarsenale mussten abgebaut werden.
Vertragsunterzeichnung am 21 . November 1985
Wichtig war auch die Versicherung: »Keine der Seiten wird die militärische Überlegenheit über die andere anstreben.« Des Weiteren waren Pläne für einen gegenseitigen Austausch im humanitären Bereich und Kontakte zwischen den Jugendlichen unserer beiden Länder festgehalten. Reagan und ich hielten eine Rede. So war es nun also doch zu diesem bedeutenden Ereignis gekommen, und beide Seiten hatten ihr Interesse an einer atomwaffenfreien Welt bekundet. Der erste Schritt war getan, der »Geist von Genf« war geboren.
Die Erfolge im Bereich der atomaren Abrüstung waren die bedeutendsten Ereignisse in den letzten Jahren des 20 . Jahrhunderts.
Der Geist von Genf ist in Gefahr
Die Schritte, die wir nach dem Genfer Gipfeltreffen unternahmen, das Konzept eines neuen Denkens vom 27 . Parteitag, die Erklärung vom 15 . Januar über die stufenweise Abrüstung und die Treffen und Gespräche mit vielen Staatshäuptern sind überzeugende Belege für den guten Willen der UDSSR . In Washington aber kam es auf einmal zu einer neuen antikommunistischen Linie, an deren Spitze ausgerechnet Reagan selbst stand.
Vor der Krim tauchte ein amerikanisches Geschwader auf. In der Wüste Nevada führten die USA einen großen Atomtest durch. Auf einmal wurde von uns gefordert, die Zahl unserer Diplomaten in New York um 40 Prozent zu verringern. Über die Kanäle unserer Aufklärung erhielten wir die Information von einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats der USA , auf der festgestellt worden war, die von der neuen sowjetischen Führung eingeleitete Außenpolitik entspreche nicht den nationalen Interessen der USA , sie müsse gestoppt werden. Das also war der Grund. Gleichzeitig hatten Reagan und der König von Saudi-Arabien den Preis für einen Barrel Erdöl auf 10 bis 12 Dollar gesenkt.
Im Sommer desselben Jahres 1986 erhielt ich einen Brief von Reagan. Schewardnadse sagte mir am Telefon (ich befand mich damals auf der Krim), das Außenministerium bereite eine Antwort vor. Es handelte sich um einen kurzen Routinetext. Einen solchen Brief zu unterschreiben hätte bedeutet, der Logik der Vereinigten Staaten in den internationalen Angelegenheiten allgemein, vor allem aber den Genfer Verhandlungen zur atomaren Abrüstung zuzustimmen. Ich hielt Rücksprache mit Schewardnadse, Ryschkow, Ligatschow und einigen anderen: Man spielt ein großes, für uns gefährliches Spiel, man will uns von dem Weg abbringen, den wir eingeschlagen haben und der in der UDSSR und in der ganzen Welt positiv aufgenommen wird.
Bei meinen Überlegungen zur Situation kam ich zu dem Schluss, dass ein Treffen mit Reagan dringend geboten schien. Wir konnten den Genfer Verhandlungen so nicht zustimmen, wenn man sie im Grunde genommen als einen Schirm benutzte, hinter dem nichts Wesentliches passierte und mit dem die Weltöffentlichkeit getäuscht wurde. Man durfte nicht zulassen, dass es den Amerikanern gelänge, unsere Bemühungen zur Überwindung der nuklearen Gefahr und zur Festigung der Sicherheit in der Welt zu schwächen.
Meine Kollegen teilten diese Auffassung. Ich schrieb einen Brief an den Präsidenten und schlug ein Treffen vor, um den Verhandlungen von Genf einen neuen Impuls zu geben. Als Ort schlug ich ihm London, Reykjavik oder Paris vor.
Reagan war einverstanden mit einem Treffen und wählte Reykjavik – gewissermaßen eine Begegnung auf halbem Wege. Das alles geschah sehr schnell. Ich hatte mit dem Politbüro folgenden Vorschlag abgesprochen: Es gibt eine Balance oder ein strategisches Gleichgewicht des Atomwaffenpotenzials. Da unser Atomwaffenarsenal drei Bereiche umfasste, sollten alle bodengestützten und U-Boot-gestützten Raketen sowie die Raketen der Luftstreitkräfte um die Hälfte reduziert
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