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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Lebensbedingungen.
    Einige Jahre später kam ich zum Komsomol-Kongress wieder nach Moskau. Sobald ich ein wenig freie Zeit fand, fuhr ich zur Stromynka-Straße, wo sich unser erstes Studentenheim befand. Ergriffen spazierte ich an den Orten unserer jugendlichen Heldentaten umher. Dann besuchte ich die Straßen meiner »Schäfchen«: die Bolschaja Grusinskaja und die Malaja Grusinskaja. Ich erkannte sie nicht wieder – die Straßen waren zum großen Teil umgebaut worden.
    Wir Kommilitonen unseres Studienjahrs haben die Tradition, uns alle fünf Jahre ein Mal in Moskau wiederzutreffen. Die meisten von uns sind Moskauer, aber es gibt auch viele, die in der Provinz arbeiten. Ich sah, wie sich meine Studienfreunde veränderten. Und nur wenigen konnte die Zeit gleichsam nichts anhaben: Sie sahen jung aus und waren voller Energie. Ich reagierte mit Freude und Trauer auf diese Treffen. Am meisten beeindruckte es mich, wenn unser Ältester und ehemaliger Frontkämpfer Walerij Schapko von den Ereignissen der zurückliegenden fünf Jahre erzählte.
    Das letzte Mal haben wir uns 2007 zu unserem traditionellen Treffen versammelt, als die meisten meiner Studienkollegen ein Alter von 75  Jahren erreicht hatten. Die Nachrichten unseres Ältesten waren entmutigend: Fast 40  Prozent waren schon gestorben. Wir vereinbarten, uns öfter zu treffen. Das geschah 2010  …
    Komsomol [10]
    Meine Beteiligung am Wahlkampf der Jahre 1950 / 51 blieb nicht unbemerkt von meinen Studienfreunden, und ich wurde Sekretär der Komsomol-Organisation des ersten Studienjahrs der Juristischen Fakultät. Die Juristische Fakultät war kleiner als die anderen Fakultäten. Aber die Komsomol-Organisation war stark, sie hatte über zweieinhalbtausend Mitglieder. In den folgenden Studienjahren wurde ich zum stellvertretenden Sekretär des Fakultätsbüros für ideologische Fragen gewählt. Ich erinnere mich an diese Arbeit kaum. Das Studium stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das Dekanat machte Druck auf das Komsomol-Aktiv, damit die Studienerfolge sich sehen lassen konnten. Die Aufgabe der Komsomol-Organisationen bestand darin, die Studenten bei der Stange zu halten. Wir hatten ja noch die Stalinzeit. Das wirkte sich auf die Moskauer Universität und ihren dynamischsten Teil besonders stark aus.
    Das Wichtigste am Komsomol waren die Gruppen. Und zwar nicht nur, was das Studium betraf, sondern auch im Hinblick auf Freizeitaktivitäten: Museumsbesuche, Kino, Theater, gemeinsame Ausflüge ins Grüne, all das war Sache der Komsomol-Gruppen. In dieser Beziehung spielte der Komsomol eine große Rolle. Er war damals eine lebendige gesellschaftliche Kraft. Der Universitäts-Komsomol hatte Biss. Es geschah viel an der Universität. Manchmal kam es auch zu Zusammenstößen.
    Bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein Fall, von dem ich hier erzählen will. Mit dem Umzug der Studenten der naturwissenschaftlichen Fakultäten und der älteren Semester der geisteswissenschaftlichen Fakultäten in das Studentenheim auf den Leninbergen wurden die Wohnbedingungen sehr viel besser als in der Stromynka-Straße. Aber man hatte einen groben Fehler dabei begangen, der zu einem Konflikt mit dem Rektorat führte. Letzteres war offenbar sehr um unsere Sittlichkeit besorgt. Die Studentinnen waren in der einen Zone untergebracht (»Zone«, was für eine Name!), die Studenten in der anderen. Es handelte sich dabei tatsächlich um Zonen, denn durchgelassen wurde nur, wer dort wohnte. Von einer Zone in die andere zu gelangen, war ein großes Problem. Es ist heute leichter, ins Ausland zu reisen, als damals, Zutritt in die andere Wohnheimzone zu bekommen.
    Raissa und ich hatten kurz vor dem Umzug von der Stromynka-Straße auf die Leninberge geheiratet. Raissa kam in Zone G, ich in Zone W, die in gegenüberliegenden Gebäudeflügeln lagen. Und obwohl wir verheiratet waren und unsere Ehe rechtsgültig geschlossen war, konnte ich mich in ihrem Zimmer nur bis 23  Uhr aufhalten. Wenn ich fünf bis zehn Minuten später aufbrach, klingelte das Telefon, und es hieß: »Sie haben einen Fremden auf dem Zimmer. Das ist ein Verstoß gegen die Regeln.« Alle Versuche, diese Situation zu ändern, blieben erfolglos. Und das galt für alle.
    MGU -Rektor Petrowskij, ein Akademiemitglied, das das vom Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der UDSSR gewählte Akademiemitglied Nesmejanow auf diesem Posten abgelöst hatte, war beliebt bei uns. Petrowskij war ein großer Wissenschaftler, Mathematiker

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