Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
fühlten wir uns wohl.
Einmal fiel unser persönlicher Festtag in die Zeit unseres Urlaubs in Kislowodsk. Es war unser 20 . Hochzeitstag, 1973 . Ich bestellte einen Tisch für uns beide in einem Restaurant draußen in den Bergen. Ein herrlicher Ort. Das Restaurant war überfüllt mit Urlaubern. Musik, Tanz, ein Trinkspruch nach dem anderen! Auf meine Bitte brachte man uns eine Flasche Sekt, eine Flasche Stolitschnaja-Wodka und kaukasische Vorspeisen. Wir waren so guter Stimmung, dass ich nicht merkte, wie die Zeit verging. Und in dieser Stimmung tranken wir alles aus: Raissa ein Glas Sekt und ich: den Rest. Das sollte sich nicht wiederholen.
Anfang der neunziger Jahre, als ich abgesetzt worden war, beschlossen wir, trotz allem an unserem Festtag ins Moskauer Restaurant Opera zu gehen. Raissa wollte einen guten Cognac trinken. Der Cognac, den man uns brachte, schmeckte uns, und wir bestellten ein zweites Glas. Musik erklang, und uns wurde wohlig ums Herz. Aber wie sich herausstellte, hatten wir einen kostbaren Cognac getrunken: »Louis XIII «, deshalb kam uns dieses Abendessen teuer zu stehen. Ich klaubte mit Ach und Krach das nötige Geld zusammen, alles, was ich bei mir hatte, ich hätte mich fast blamiert.
Unsere Familienchronik bewahrt die Erinnerung an einen Traum Raissas aus den allerersten Tagen unseres Zusammenlebens. Wir befinden uns auf dem Grund eines tiefen, dunklen Brunnens; nur irgendwo ganz oben schimmert ein bisschen Licht. Wir klettern den Brunnenschacht hinauf und helfen einander. Unsere Hände sind wund und bluten. Die Schmerzen sind unerträglich. Raissa stürzt ab, aber ich kann sie auffangen. Völlig erschöpft kommen wir schließlich aus diesem schwarzen Loch heraus. Vor uns liegt ein gerader, reiner, heller Waldweg. Am Horizont steht eine riesige, grelle Sonne, mit der der Weg gleichsam verschwimmt und verschwindet. Wir gehen der Sonne entgegen. Auf einmal fallen an beiden Seiten des Weges schreckliche schwarze Schatten vor uns nieder. Was ist das? Der Wald dröhnt: »Feinde, Feinde, Feinde.« Das Herz zieht sich zusammen. Wir fassen uns an den Händen und gehen weiter, zum Horizont, zur Sonne.
Unsere standesamtliche Hochzeit fand am 25 . September 1953 statt. Aber Mann und Frau wurden wir erst, als wir Anfang Oktober in das Heim auf den Leninbergen zogen. In jenen Tagen fuhren die Studenten zur Kartoffelernte in den Kreis Moschaisk. Als ich zurückkehrte, reservierte Raissa in ihrem Zimmer einen Abend nur für uns zwei, einen Abend, der alles für uns bedeutete und ein Versprechen für immer war.
Unsere Hochzeitsfeier fand am 7 . November in der Schonkost-Mensa des Studentenheims in der Stromynka-Straße statt. Wir luden unsere Studienkameraden und enge Freunde ein. Das Essen entsprach dem traditionellen Speiseplan: Salat, Hering, gekochte Kartoffeln und Stolitschnaja-Wodka – das war die Hauptsache. Und es gab noch etwas Fleisch, ich glaube, Bouletten; wozu das Geld eben reichte. Raissa hatte ihr Hochzeitskleid aus leichtem Chiffon an. Es stand ihr wunderbar. Als sie es angezogen hatte, drehte sie sich lange vor dem Spiegel. Ich fragte sie: »Gefällt es dir?«
»Ich bin überglücklich!«
Sie liebte schöne Kleider. Es war etwas Wunderbares an dieser Frau. Sie stammte aus einer einfachen Familie, kam aus der tiefsten Provinz an die Universität. Und doch stach sie schon damals von den anderen Mädchen ab und fiel auf. Mir kommt oft ein Vergleich in den Sinn, den ich nicht für übertrieben halte: Sie war eine richtige Prinzessin. Mir gefiel, dass sie schön aussehen wollte. Es kam uns schwer an, als unsere Einkünfte uns kaum erlaubten durchzukommen. Trotzdem, wenn es irgend möglich war, gingen wir los und kauften Raissa etwas Neues: einen Rock, eine Jacke oder Stoff für einen Mantel. Ich erinnere mich an einen auf Taille geschnittenen Mantel aus grellgrünem Stoff mit einem kleinen hochgeschlagenen Pelzkragen. Acht Jahre später wurde er gewendet.
Ihr stand eigentlich alles. Sie gab immer auf sich acht. Sobald sie ein bisschen zu viel wog, unternahm sie etwas dagegen. Sobald sie irgendetwas unter ihren Augen störte, handelte sie sofort. Ich kann nicht behaupten, dass sie besonderen Wert auf Kosmetik legte. Ich werde jetzt wohl auf Verwunderung stoßen: Bevor sie dreißig war, benutzte Raissa keinen Lippenstift. Aber ihre Wangen brannten immer. Offenbar wegen der dicht beieinanderliegenden Gefäße. Ein Professor, der unter dem berühmten Torbogen in der Mochowaja in der
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