Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Begräbnisses ein kalter Regen niederging, gaben ihm die meisten Dörfler das letzte Geleit.
Großmutter Wasilisa freute sich über das Treffen mit uns. Sie schaute auf Raissa, die ihr entgegenging, umarmte sie und sagte: »Wie dünn du bist! Wie schön du bist!« Sie mochte Raissa sofort. Wir besuchten sie später immer, wenn wir in Priwolnoje waren. Raissa gab ihr immer ein wenig Geld, damit Großmutter in die Kirche fahren, beten und eine Kerze aufstellen konnte. Und zu großen religiösen Festen kam sie zu uns nach Stawropol. Bis heute erinnere ich mich daran, wie sie vom Haus die Straße entlang zur Kirche ging und alle, die ihr entgegenkamen, grüßte – so machte man es in Priwolnoje.
Als wir im Haus meiner Eltern waren, lief es etwas anders. Meinem Vater gefiel Raissa auf Anhieb: Er nahm sie sofort als Tochter an. Wahrscheinlich, weil er nur Söhne hatte und ein herzlicher, ruhiger Mensch war. Die Gefühle, die er bei der ersten Begegnung für Raissa empfand, hielten sich bis zum Schluss. Mit Mutter war es anders. Von einem warmen Empfang konnte keine Rede sein. Sie war eifersüchtig auf Raissa: Sie hatte ihren Sohn entführt. Sie sagte zu mir: »Was hast du da für eine Braut gebracht, wobei kann sie mir zur Hand gehen?«
Ich sagte, sie habe die Universität abgeschlossen und werde unterrichten.
»Und wer wird uns helfen? Du hättest doch eine aus dem Dorf nehmen können, dann wäre alles in Ordnung.«
Ich brauste auf: »Weißt du, Mutter, ich sage dir jetzt etwas, das du dir bitte merkst: Ich liebe sie. Sie ist meine Frau. Und ich möchte so etwas von dir nie wieder hören!«
Mutter brach in Tränen aus. Sie tat mir leid. Aber ich musste ihr das sagen, um diese Frage ein für alle Mal zu klären. Natürlich war Raissa aufgeregt, als sie auf die ablehnende Haltung ihrer Schwiegermutter stieß. Einmal schickte Mutter sie Wasser aus dem Brunnen holen, um den Garten zu gießen. Vater verstand die Situation und sagte zu Raissa: »Komm, wir machen das zusammen.« Mutter explodierte und bekam sich erst mal nicht wieder ein. Später, als sie Raissa besser kannte, fand sie sich damit ab. Irina kam auf die Welt. Und auch meine Lage änderte sich. Wir unterstützten meine Eltern finanziell, ließen ein neues Haus für sie bauen.
Damals, als ich sah, wie verstimmt Raissa war, sagte ich zu ihr: »Du hast doch nicht meine Mutter geheiratet. Komm, die Frage ist ein für alle Mal entschieden. Beruhige dich, bitte.«
Einmal kam es wegen irgendeiner Lappalie zu einem Konflikt. Um nicht mit meiner Mutter zu streiten, verließ Raissa das Haus und streifte lange irgendwo herum. Ich ging zum Fluss, wo ich sie fand: »Was ist los?«
»Nichts.«
»Dann ist gut, so muss es auch sein.«
Eines Tages besuchten wir das Grab von Großvater Pantelej. Ich stand lange am Grab dieses mir teuren Menschen und dachte an das schwere Schicksal, das er hatte.
Was wird die Zukunft bringen?
Mein Studium neigte sich seinem Ende entgegen. Zum letzten Studienjahr gehörten Praktika am Bezirksgericht von Moskworezkij und beim Bezirkssowjet Kiewskij, wo ich einen Teil des Materials für meine Diplomarbeit »Die Beteiligung der Massen an der Staatslenkung am Beispiel der örtlichen Sowjets« sammelte. Ich hatte dort auch die Möglichkeit, mein theoretisches Wissen über den sowjetischen Aufbau mit der praktischen Arbeit eines lokalen Moskauer Sowjets zu vergleichen. Hinzu kam, dass ich dort meine Kräfte ausprobieren konnte; am Bezirksgericht waren wir ja nur Beobachter.
Meine Diplomarbeit reichte ich fristgerecht ein, die Verteidigung lief gut. Ich erhielt die Note »Ausgezeichnet«. Ein nicht geringer Teil meiner Arbeit diente dazu, (am Beispiel der Arbeit des Kiewskij-Bezirkssowjets) die Vorzüge der sozialistischen Demokratie gegenüber der bürgerlichen aufzuzeigen. Vom Verständnis der Bedeutung grundlegender demokratischer Prinzipien war ich noch meilenweit entfernt.
In der Zeitung
Sowjetrussland
erschien einmal ein Artikel, in dem behauptet wurde, ich hätte in einer meiner Reden im Ausland gesagt, Raissa und ich hätten uns schon in unserer Jugend vorgenommen, die Kommunistische Partei von innen zu sprengen. Weit gefehlt! Das ist falsch, eine der vielen Falsifikationen, die meine »Jünger« in all diesen Jahren in Umlauf brachten.
Schon damals hatte das von der Propaganda verbreitete Schwarz-Weiß-Bild der Welt aus der Sicht der Studenten allerdings ein paar Risse. Einen überraschenden Impuls in dieser Richtung erhielt ich,
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