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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Geschmack gekommen waren, konnte man uns nicht mehr von dem Spiel losreißen. Wir spielten stunden- und tagelang. Ich war sehr begeistert davon.
    Als ich dann an der Universität war und eine Menge Probleme auf mich einstürmten, gab ich das Schachspiel auf. Das Leben danach war noch anstrengender. Und so habe ich meine Fähigkeiten diesbezüglich nicht ausbauen können. Als ich mich kürzlich mit Iljumschinow traf, haben wir eine Partie Schach gespielt – und natürlich habe ich verloren, obwohl er mir bewusst den Vortritt ließ.
    Nach endlosen Reisen durch die Welt in seiner Funktion als Präsident der Internationalen Schachföderation haben wir uns vor kurzem wieder getroffen und über die Vergangenheit gesprochen. Die Gegend, aus der du kommst, vergisst du nie. Und wir haben abgemacht, im nächsten Frühjahr in die Stawropoler und die kalmückische Steppe zu fahren.
     
    Der 20 . Parteitag war die Grundlage für einen Richtungswechsel in der Innen- und Außenpolitik und für eine Aufarbeitung der historischen Fakten, aber dieser Prozess verlief widersprüchlich und war sehr schmerzhaft. Während unter Chruschtschow der Kampf gegen die Folgen des Personenkults in dieser oder jener Form fortgesetzt wurde, setzte mit Breschnew eine Wiederbelebung dieses Kultes ein, und es begann die Ideologie des Poststalinismus. Stalin wurde wieder gepriesen. Und obwohl sich unter dem Einfluss des 20 . Parteitags die »Generation der Sechziger« bildete, die besondere Verdienste für die Entwicklung unserer Gesellschaft hat, verlangsamte sich der Prozess der Erneuerung, Demokratisierung und neuen Politik und kam Anfang der siebziger Jahre ganz zum Stillstand. In dieser Atmosphäre, die auch im Stawropoler Land herrschte, nahm ich meine politische Tätigkeit auf.
    In den letzten Jahren habe ich wiederholt betont, dass meine politische Karriere eigentlich schon im Jahr 1948 begann, als ich zusammen mit anderen, die in verschiedenen Dörfern des Bezirks Krasnogwardejskij die achte Klasse abgeschlossen hatten, auf die Mittelschule ins Bezirkszentrum wechselte. Diese Schule befand sich im Gebäude eines früheren Gymnasiums, war groß, wurde von mehr als tausend Schülern besucht und hatte einen guten Ruf. Bei der Komsomol-Versammlung mussten wir einen Sekretär wählen. Jede der sieben Gruppen, die in die Bezirksschule gewechselt hatten, schlug einen Kandidaten vor. Die Gruppe aus Priwolnoje schlug mich vor.
    Mit Schulfreunden, um 1949
    Die Versammlung beschloss, alle sieben sollten sich vorstellen. Jeder erzählte etwas, die einen lachend, die anderen ernst. Dann kam ich an die Reihe. Ich sagte auch etwas, keine Ahnung, was. Ich wollte mich setzen, aber mir hatte jemand den Stuhl weggezogen – ich knallte mit voller Wucht auf den Boden. Der Saal platzte vor Lachen. Bei der geheimen Abstimmung wurde ich als Sekretär gewählt. So begann meine gesellschaftliche Tätigkeit. Seitdem rate ich jedem: Keine Panik, wenn du stolperst oder fällst. Steh auf, zieh die richtigen Schlüsse und geh weiter. Das Leben hat die Richtigkeit dieses Herangehens bestätigt. Aber das sollte alles erst noch kommen.
    Nach dem 20 . Parteitag änderte sich mein Leben im Stawropoler Land schnell. Im August 1956 wurde ich zum Ersten Sekretär des Stawropoler Komsomol-Stadtkomitees gewählt. Im Jahr davor hatten Raissa und ich viele gleichaltrige junge Leute kennengelernt. Aber ich war ein neuer Mann im Regionszentrum, meine Wahl war für mich selbst eine Überraschung und erst recht für die anderen.
    Die größte Neuigkeit für Raissa und mich war ihre Schwangerschaft. Sie bedeutete eine Mischung aus freudiger Erwartung und großer Angst. Wir mussten sofort entscheiden, was wir machen sollten. Raissa ging es im Stawropoler Land gut, und wir beschlossen: Sie soll das Kind kriegen. Nun hatte ich noch mehr zu bedenken.
    Unsere Wohnverhältnisse waren sehr primitiv: Wir mussten das Wasser aus einem Hydranten auf der Straße holen, Brennholz spalten, die Kohle aus dem Keller holen. Ich verbot Raissa, schwere Arbeit zu verrichten, und machte alles abends alleine. Das Haus, in dem wir wohnten, war nicht weit vom Zentrum entfernt. Trotzdem war es nicht leicht, ins Zentrum zu kommen. Das Haus lag an einem Hang. Wenn Raissa beim Anstieg oder – noch schlimmer – beim Abstieg nur einmal hinfiel, hätte das schlimme Folgen haben können. Ich dachte: Gut, dass ich jetzt in der Stadt arbeite und nicht reisen muss. Natürlich nahm die Arbeit viel Zeit in Anspruch;

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