Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
und Mädchen bei geselligen Abenden – und warten auf den Frühling und den Sommer, wo alle Feste und dergleichen draußen stattfinden.«
Zu der Viehfarm war es noch ein langer Weg, aber wir kamen genau zum richtigen Zeitpunkt: Nach mehreren Arbeitsstunden seit dem frühen Morgen machten die Mädchen gerade eine Pause. Ich stellte mich vor, sagte, wer ich bin und warum ich gekommen war: »Ich will sehen, wie ihr lebt und arbeitet.« Ich sagte, dies sei meine erste Dienstreise nach meinem Universitätsabschluss in Moskau. Durch meinen vertraulichen Gesprächston tauten sie sofort auf. Eins der Mädchen – offensichtlich die inoffizielle Anführerin – sagte ernst und traurig, ja sogar ein wenig beleidigt: »Was soll es denn bei uns schon zu sehen geben?! Tagaus, tagein, Jahr um Jahr dasselbe.«
»Was ihr tut, ist lebensnotwendig.«
»Das ist uns klar.«
Trotzdem war ihre Stimmung im Großen und Ganzen fröhlich, ja übermütig. Die Jugend kennt nur eine Antwort: Alles ist wunderbar. Es ist eine glückliche Zeit im Leben des Menschen. Nur einen Nachteil hat sie: Sie ist schnell vorbei.
»Erzählen Sie – woher kommen Sie, und wie sind Sie nach Moskau gelangt?«
Ich erzählte, dass ich aus dem Stawropoler Land komme, aus dem Dorf Priwolnoje im Nordwesten der Region, dort zur Schule gegangen sei und dann studiert habe. Und ich erzählte ihnen von meinem Leben und Studium in Moskau. Es stellte sich heraus, dass sie gern noch etwas lernen würden.
»Und warum wollten Sie nicht als Staatsanwalt arbeiten?«
»Ich bin mit meiner juristischen Ausbildung zufrieden, habe mich aber während meines ganzen Studiums mit Komsomol-Angelegenheiten beschäftigt. Ich habe nicht nur ein Diplom mitgebracht, sondern auch meine Frau. Wir haben beschlossen, auf eigenen Beinen zu stehen und uns alles zu zweit zu erarbeiten. Wir hausen in einem engen Zimmerchen, das Geld reicht nicht. Meine Frau hat zurzeit noch keine Arbeit.«
Sie waren sehr erstaunt. Wie konnte es sein, dass sogar ein Mensch mit dem Diplom der Moskauer Universität keine Arbeit hatte?
»Und da sagen Sie, wir sollen lernen. Wofür denn?«
»Alles wird sich ändern, auch das Leben. Wir haben einen schrecklichen Krieg hinter uns. Vieles hat sich schon geändert. Ein paar von euch sind so alt wie ich (ich war damals vierundzwanzig) und erinnern sich noch daran, wie schwer es war. Aber jetzt wird es leichter – obwohl es bis zu einem guten Leben noch ein langer Weg ist.«
Meine Worte, dass ich mit meiner Frau hergekommen sei, berührten einen wunden Punkt. Meine Gesprächspartnerinnen waren praktisch alle unverheiratet. In ihrem Alter heiratete man damals in der Regel schon und bekam Kinder. Irgendetwas war bei diesen Mädchen nicht in Ordnung. Es fiel mir schwer, aber ich überwand mich und fragte: »Habt ihr denn alle einen Bräutigam?« Als Antwort kam schallendes Gelächter.
»Aber ihr seid doch noch jung. Die Jungen, die so alt sind wie ihr, sind doch wohlauf und gesund.«
»Woher nehmen und nicht stehlen? Sie sind alle weg: die einen sind in die Armee gegangen, die anderen zu den großen Bauprojekten in den Norden und nach Sibirien aufgebrochen.«
Ich wollte das Gespräch nicht auf dieser traurigen Note enden lassen. Zum Abschied sagte ich ihnen, ich würde gerne irgendwie helfen, wisse aber nicht, was ich für sie tun könne. Ihre Antwort verblüffte mich: »Besuchen Sie uns noch einmal.« Das war alles. Ihnen war genauso klar wie mir: Da ist nichts zu machen, so ist die Zeit nun mal, da kann man nicht einfach ausbrechen, sondern muss aushalten, leben in der Hoffnung, dass es allmählich besser wird.
Anfang 1956 war ich in der berühmten Kolchose »Kommunistischer Leuchtturm« im Bezirk Apollonskij, die im Jahr 1921 gegründet worden war. Jahrzehntelang wurde sie von Andrej Wasiljewitsch Tschuchno geleitet. Er wurde von allen angebetet, alles hing von seiner Autorität ab. Viele junge Leute und Spezialisten arbeiteten mit ihm zusammen. Die Siedlungen sahen schon ordentlich aus. Es gab gute Wege, eine Schule, einen Kindergarten, eine Gaststätte für Besucher und ein Gasthaus, wo wir uns einquartierten.
Ich war zusammen mit einem Sekretär des Komsomol-Kreiskomitees gekommen, der den unvergesslichen Namen Nikolaj Solotopup (»Goldnabel«) hatte. Wie wir wussten, war dort eine Komsomol-Sonntagsschicht angesetzt, bei der organischer Dünger auf die Felder gebracht werden sollte.
Also fuhren Nikolaj und ich am Morgen hin und arbeiteten mit. Dabei
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