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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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zeigte, dass Raissa Blutkrebs hatte, und zwar in einer seltenen Form, deren Behandlung noch wenig erforscht ist. Ich wandte mich an Präsident Clinton und Kanzler Gerhard Schröder um Hilfe und bekam noch am selben Tag von ihnen die Einladung, Raissa bei sich zu behandeln. Wir beschlossen, nach Deutschland zu fliegen, weil sie sich schlecht fühlte und ein langer Flug nicht in Frage kam. Im onkologischen Zentrum von Münster stützt sich die Behandlung von Krebserkrankungen auf die neuesten Forschungsergebnisse. Wir glaubten alle, wir könnten Raissa retten.
    Nach einer wiederholten Blutuntersuchung begann die Chemotherapie. Raissa ließ alles tapfer über sich ergehen. Manchmal wurde es ihr aber zu viel, und sie verschloss sich. Wir ließen sie nicht eine einzige Stunde allein. Morgens kam Irina und half ihr. Nachmittags kam ich und blieb bis zum Einbruch der Nacht. Über Nacht blieben mit den diensthabenden Ärzten abwechselnd unser Freund Karen Karagesjan und eine ehemalige Landsmännin aus Dresden, die beide des Deutschen mächtig waren. Zwei volle Monate begleiteten uns die Offiziere Walerij Pestow und Oleg Klimow. Wir sind allen sehr dankbar.
    Die Klinik in Münster ist eine Spezialklinik, in der sich Patienten, Besucher und Ärzte auf Station an bestimmte Regeln halten müssen. Die bei der Behandlung verabreichten Medikamente greifen nicht nur die kranken Zellen an, sondern auch die gesunden. Das Immunsystem wird zerstört, so ein Mensch ist praktisch schutzlos, jede Infektion ist tödlich für ihn. Um den Patienten zu schützen, muss im Krankenzimmer Sterilität herrschen, alle nötigen Parameter der Luft müssen ständig unterstützt und lückenlos kontrolliert werden. Bevor die Besucher das Zimmer des Patienten betreten, müssen sie einen sterilen Mundschutz aufsetzen, Hände und Kleidung desinfizieren. Zahlreiche Apparate kontrollierten nicht nur das Herz, sondern den gesamten Organismus.
    Raissa war froh, dass wir bei ihr waren. Die Schmerzen dauerten an. Es fiel ihr sogar schwer, ihren eigenen Körper zu halten. Sie bat mich einmal, ihr zu helfen. Als ich sie mit den Armen stützte, fühlte sie sich besser, sie beruhigte sich und schlummerte ein. Einmal nahm ich leise die Arme weg. Raissa bat: »Geh nicht fort, verlass mich nicht. Stütz mich weiter.«
    Ich sagte: »Ich muss mich ein wenig erholen. Der Rücken will nicht mehr.«
    Sie reagierte mit traurigem Humor: »Gorbatschow, Gorbatschow, früher hast du mich auf Händen getragen, jetzt kannst du mich noch nicht einmal stützen.«
    »Das stimmt. Aber das ist lange her. Du warst leichter, und ich war stärker.«
    Raissa war eine Leseratte und arbeitete gern an ihren Vorlesungen. All das fiel in der Klinik weg. Es wurde ihr alles zu schwer. In den ersten Tagen versuchte sie, sich Notizen zu machen. Sie waren kurz. Aber nach ein, zwei Tagen ließ sie es sein. Die Krankheit schritt fort …
    Zur Beurteilung der ersten Behandlungsergebnisse und Festsetzung weiterer Schritte versammelte sich in der Münsteraner Klinik eine Gruppe deutscher Spezialisten. Sie besprachen die Situation drei Stunden lang. Es war ein Treffen von Koryphäen auf dem Gebiet der Onkologie. Professor Büchner, Raissas behandelnder Arzt, wollte mit den Kollegen die Ergebnisse der ersten Behandlungsetappe besprechen, das heißt welche Komplikationen eingetreten waren und was weiter zu tun sei. Er wollte mit ihnen einen Therapieplan erstellen. Der Professor bat mich, bei dem mehrstündigen Gespräch dabei zu sein.
    Als ich ins Zimmer zurückkam, sah ich, dass Raissa sehr unruhig war. Sie wartete schon und wollte unbedingt hören, was die Ärzte gesagt hatten.
    »Das Gespräch hat so lange gedauert. Sind meine Aussichten schlecht? Verbirgst du etwas vor mir? Sie wissen wohl nicht, was sie weiter mit mir machen sollen?«
    Ich unterbrach sie und sagte: »Moment – du hast doch gesagt, du fühlst dich besser.«
    »Nein, sag mir, worüber ihr drei Stunden gesprochen habt.«
    »Es waren die größten Koryphäen da. Nach Abschluss der ersten Behandlungsetappe haben sie die Möglichkeit einer Rückenmarkstransplantation besprochen. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass sie nötig ist. Jetzt muss man sich darauf einstellen, deine Kräfte stärken und alles dafür vorbereiten. Vor allem müssen wir dringend deine Schwester rufen. Eure Blutparameter stimmen zu hundert Prozent überein.«
    »Und warum verlieren wir dann Zeit?«
    »Das ist alles nicht so einfach. Man musste deinen Zustand erst

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