Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
[18] Der Reiseführer erklärte, weit in alle Einzelheiten und Legenden ausholend, wie es damals war, und lüftete so den Vorhang, hinter dem sich das Leben in dem Palast abspielte. Sie kamen zum Harem. Natürlich war die Neugier groß, besonders bei den Frauen. Wie Raissa erzählte, waren alle von der Vielzahl der Frauen des Khans beeindruckt. Ob dahinter eine Kritik an den heutigen Männern steckte oder etwas anderes, darüber stelle ich lieber keine Vermutungen an.
Nach der Fahrt und nachdem sie die berühmten Tschebureki [19] gegessen hatten, kehrten sie ins Sanatorium zurück. Auf einmal fragt die zehnjährige Irina: »Mama, warum hatte der Khan so viele Frauen und Papa hat nur dich?«
Raissa war zuerst verblüfft, ließ sich das aber nicht anmerken und sagte: »Frag Papa danach, wenn wir nach Hause kommen. Er kann dir sicher sagen, ob ich seine einzige Frau bin und warum.«
Das Kind vergaß das Gespräch nicht und fragte prompt nach der Rückkehr: »Papa, wir haben einen Ausflug gemacht und den Palast des Khans Girej besichtigt. Er muss sehr viele Frauen gehabt haben. Warum ist Mama deine einzige Frau?«
Ich war in einer schwierigen Situation – ich musste dem Kind antworten. Wir hielten es in unserer Familie so: Wenn du die Antwort weißt, musst du die Wahrheit sagen. Wenn diese Wahrheit mit Dingen zusammenhängt, die ein Kind womöglich nicht versteht, dann musst du Ausdrücke finden, die ihm doch eine gewisse Information bieten. Und wenn Raissa oder ich die Antwort nun gar nicht wussten, dann sagten wir offen: Wir wissen es nicht, wenn wir es rauskriegen, sagen wir es dir.
Irina hatte die Frage gestellt und sah mich erwartungsvoll an. Ich antwortete. Ich finde, das war eine der besten Antworten auf die vielen Fragen, auf die ich im Laufe meines Lebens antworten musste. Ich sagte: »Weißt du, Liebes, der Khan Girej hatte viele Frauen, aber unter ihnen war keine einzige, die ein Philosoph war.«
Diese humorvolle Antwort ging in die Annalen unserer Familie ein.
Der erste Auftritt
Meiner Wahl zum Sekretär des ZK der KPDSU und dem Umzug unserer Familie nach Moskau gingen einige Ereignisse voraus, die ein Licht warfen auf die Situation im Politbüro, auf die Weise, wie Kaderfragen gelöst wurden, und auf die Intrigen in den höchsten Machtkreisen.
Ganz zu Beginn meiner Arbeit als Erster Sekretär des Regionskomitees der Partei ereignete sich Folgendes. Ich machte eine Dienstreise nach Moskau, zum ZK . Ich traf Kulakow, und wir unterhielten uns. Das Gesprächsthema war noch nicht klar, da fragte er mich auf einmal: »Beim Generalsekretär warst du doch schon, oder?«
»Nein«, sagte ich.
»Warum denn nicht?«
»Ich habe keine Fragen an den Generalsekretär, warum soll ich ihm dann die Zeit stehlen?«
»Hör zu! Das gibt es doch nicht, dass der Erste Sekretär des Regionskomitees Stawropol, der gerade erst zu arbeiten begonnen hat, keine Fragen hat, bei denen er sich mit dem Generalsekretär beraten möchte. Außerdem kann es doch auch sein, dass der Generalsekretär dir Fragen stellen möchte. Die Genossen aus dem Sprechzimmer von Breschnew haben mir gesagt, du hättest noch nie einen Termin bei ihm gehabt.«
»Fjodor Dawydowitsch, ich sage Ihnen doch: Ich hatte keinen Bedarf.«
»Lass es dir noch einmal durch den Kopf gehen!«
Das war ein wichtiger Hinweis. Der Umgang mit dem Generalsekretär war die Grundlage von allem und jedem. Breschnew rief die Ersten Sekretäre regelmäßig an, darunter auch mich. Und wenn man im ZK war, kam man wohl nicht um den Kontakt mit dem Generalsekretär herum. Nach diesem Hinweis stellte ich eine derartig »überhebliche Haltung« dem Generalsekretär gegenüber ab. Im Anschluss hatten wir recht häufige Kontakte: per Telefon und bei persönlichen Treffen, wenn ich die Unterstützung des ZK für Projekte brauchte, die wir im Stawropoler Land in Angriff nahmen.
Ende 1977 hatte ich ein ziemlich langes, angespanntes Gespräch mit Kulakow. Wie andere Sekretäre war ich zu einem Gespräch über die laufenden Probleme zu ihm gekommen. Bei diesem Treffen sagte Kulakow, die Lage in der Nicht-Schwarzerde-Zone sei bedenklich. »Es werden große Investitionen benötigt«, sagte er. Offenbar wollte er sich das Verständnis und die Unterstützung der Chefs der Regionen und Gebiete sichern und hatte deshalb das Gespräch mit mir begonnen.
Ich sagte, dann müsse man zusätzliche Ressourcen finden. Man könne doch nicht dem Kubangebiet, Rostow oder der Ukraine etwas wegnehmen.
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